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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Walser
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stieß er auf Grenzen. Geschlossene Grenzen. Geschlossene Gesellschaften. Die Wiener Ärzteschaft. Störck und Konsorten. Und wenn er noch so studiert war. Und ein noch so guter Bürger. Der regelmäßig seine Pferdesteuer bezahlte. Und seine redliche Mitarbeit anbot. Solange von Störck seine Methode nicht guthieß, blieben ihm nicht nur die Türen der Hospitäler verschlossen. Auch die Türen zur Hofburg.
    Eine geschlossene Grenze. Ungewiss, ob sie je aufgehen würde. Eher nicht. Im Gegensatz zu der zwischen Anna und ihm. Eine Grenze, wie er sie mochte. Nichts als zwei Fronten, die eine lange Berührung miteinander teilen. Und die sich an jenem Abend wie von selbst lockerten, verwischten, auflösten. Ineinander verschwammen.
    Anna zog ihn auf ihr Terrain. Nein, so war es nicht. Sein Mitgezogensein war längst aktiv. Ein Mitgeziehen. Nein, die Sprache ließ sich mal wieder nicht mitzerren. Ihre schmale Hand, die seine Kleider öffnete. Seine Hand, die ihren Beinen folgte. Sich verfing in den knisternden Libellenflügeln. Sich herauswand und sich erneut verfing. Und dann nur noch Anna. Die Ausreißerin. Die unnahbare Anna. So nah.
    Er sagte, er habe das Gefühl, er befinde sich auf einer schiefen Ebene. Er rutsche einen Abhang hinunter. Könne sich nicht halten. Dass das ein Witz war, hat er erst an ihrem Lachen gemerkt.
    Sie sprang auf, rückte ihr Nachtkleid zurecht, rannte hinaus. Kehrte zurück.
    Die Nacht sei noch nicht zu Ende. Gerade erst beginne es. Das Dunkel zum Ende der Nacht. Und es werde dauern.
    Wie recht sie hatte. Das Ende dauerte und dauerte. Es hörte überhaupt nicht mehr auf. Es dehnte sich wie die Töne der Glasharmonika. Durch die Fenster hinaus, über den Garten hinweg, die matschigen Wiesen, die Hecken, die Zäune und darüber hinaus. Bis nach Wien und weiter, zur Donau, zu den Prater-Auen und darüber hinaus.
    Am Morgen, beim Ankleiden fiel ihm das Säckchen in die Hand. Darin eine goldene Uhr, die er ließ, wo sie war.

    Wie Anna die Leute empfängt. Das hat er ihr nicht beigebracht. Wie sie redet mit ihnen. Und wie sie sich ausfragen lassen von ihr.
    Und die Schlüsse, die sie zieht, aus den Schilderungen. Über die Art der Krankheit. Sie wäre kein schlechter Arzt. Sie täuscht sich fast nie in ihren Einschätzungen. Ob oder nicht Mesmer hier hilft. Helfen kann.
    Dass er für Nervenkranke zuständig sei, weiß sie genau. Alle Gattungen und Untergattungen von Nervenkranken. Die muss sie herausfiltern.
    Am besten solche, die schon jahrelang erfolglos behandelt wurden.
    So wie der Alte aus Wien. Der hartnäckig im Hof blieb, so wie die Schmerzen in seinem Bein und der Ausschlag unter dem Bart. All das, was ihm den Tag zur Hölle machte. Was er schließlich glaubhaft durch den morgendlichen Hof brüllte. In einer Frühe, in der Anna vor Kurzem noch geschlafen hätte.
    Doch vor Kurzem war vobei. Jetzt war Anna längst wach. Und ging, damit nicht auch ihr Tag zur Hölle werde, hinaus zu dem Bärtigen.
    Er könne nicht herabsteigen, sagte der Alte. Schilderte ihr sein Leid vom Kutschbock aus. Wie es ihr gelang, den mühsam Humpelnden doch noch ins Haus bringen zu lassen, ist Mesmer ein Rätsel.
    Der Ausschlag schimmerte bläulich-rot durch den Bart. Um die Haut zu behandeln, müsse der Bart ab, sagte Mesmer.
    Der Alte weigerte sich. Er sei Jude. Und habe schon einmal eine Leibesstrafe erhalten nach dem Bartscheren. Nach dem zweiten Mal müsse er aus dem Land.
    Mesmer legte ihm eine Hand auf den Rücken. Die andere an die Hüfte. Ob er Wärme spüre.
    Allerdings. Ein Feuer. Der Alte begann zu brüllen. Wand sich zehn Minuten lang in Krämpfen. Schlief ein. Anna blieb bei ihm, während Mesmer im Laboratorium verschwand. Er konnte den Alten nicht hierbehalten. Das Haus war voll. Er füllte eine Flasche mit Wasser. Kippte Eisenspäne und Nägel dazu. Verschloss und arretierte die Flasche mit vier Nägeln in einem Holzkasten. Nannte es ein magnetisches Kästchen .
    Wenn der Alte wach werde, dürfe er es mitnehmen. Für neben das Bett. Nein, besser ins Bett.
    Später sah er den Alten allein zu seinem Wagen laufen, das Kästchen umklammernd. Am Trittbrett blieb er stehen. Hob das Kästchen auf den Kutschbock hinauf. Kletterte hinterher.
    Auch das hat sich herumgesprochen. Und wob sich wie ein kleiner glitzernder Faden in die prächtigen Geschichten, die sich die Leute inzwischen von Mesmer erzählten.
    Mehr Menschen reisten an. Anna schickte die meisten fort.
    Zu anderen Ärzten. In Wien gab es

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