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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Walser
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Nähe. Nichts verpassen von den langen, melancholischen Melodien, die sie ganz plötzlich mit jubilierenden Trillern konterten.
    Sie hörte jemanden langsam den Kiesweg unter der Allee entlanglaufen. In der Annahme, es sei Mesmer, ging sie auf die Schritte zu.
    Dann vernahm sie die Stimme. Überlagert von Amselstimmen. Oder im Gespräch oder Wettstreit mit ihnen. Sie wollte näher hin. Kaum aber betrat sie den Kies, schreckten die Amseln laut zeternd in alle Richtungen davon.
    Mesmer war stehen geblieben.
    Guten Morgen, sagte er. Ob ihr nicht kalt sei.
    Gemeinsam waren sie ins Haus zurückgekehrt.

    Dort, wo am Morgen die Amseln zeterten, da waren es jetzt die Eltern. Der Vater hatte ihre Hand genommen. Kaum berührte er sie, fühlte sie auch die Hand ihrer Mutter irgendwo an sich herumzupfen. Als müsse sie gerecht verteilt werden.
    Was sie schon alles gesehen habe. Der Vater klang forsch.
    Alles Mögliche.
    Nein, rief er. Hat man so was schon gehört.
    Die Mutter klatschte in die Hände und schluchzte. Maria legte den Arm um sie.
    Alte Heulsuse, sagte der Vater.
    Die Mutter sagte, dass jetzt, wo Resi wieder sehen könne, das Mutter-Auge wahrscheinlich bald nicht mehr gebraucht werde.
    Maria hörte sich widersprechen. Unter den Füßen knirschte der Kies. Wie einmütig die Schritte klangen. Der Kies machte keinen Unterschied zwischen ihnen. Als dächten und fühlten sie alle dasselbe. Dabei war es genau das, was diesem Tag fehlte: Einmütigkeit. Und sie, Maria, war das Problem. Sie war es schon den ganzen Mittag gewesen.
    Das fällt ihr jetzt auf.
    Sie waren an den Beeten entlangspaziert, immer auf das Belvedere zu.
    Die Mutter sagte, dieser Garten sei fast wie der der Kaiserin.
    Quatsch, sagte der Vater. Verglichen mit dem der Kaiserin sei das ein Zwergengarten.
    Halt ein bisschen kleiner, sagte die Mutter, aber sogar ein Vogelhaus und ein Taubenschlag sind da, schau. Ein stillgelegter Brunnen. Und schau, noch eine Skulptur von diesem FXM.
    Sie solle ihn mit diesem Verrückten in Ruhe lassen. Der Vater tastete schon wieder nach Marias Augen. Er könne, was er gesehen habe, nicht glauben.
    Maria duckte sich.
    Was für ein merkwürdiges Verhältnis zwischen Sehen und Nichtglauben und Anfassen.
    Warum denn?, sagte sie.
    Wie bitte?, sagte der Vater.
    Warum er ihr nicht glaube?
    Wie sie darauf komme, dass er ihr nicht glaube?
    Er habe es doch gerade gesagt.
    Manchmal müsse man eben erst begreifen, um etwas zu glauben. Da genüge das Sehen allein nicht. Man müsse vorher begriffen haben. Wenigstens ein klitzekleines Stückchen vom Ganzen.
    Glaubst du, sagte sie, dass unwahr ist, was man nicht begreifen kann?
    Nein, er meine nur, dass das Auge manchmal stumpf und blöd sei und nichts überschaue.
    Und die Mutter pflichtet ihm bei.
    Ein winziges Eckzipfelchen vom Ganzen, Maria. Das wäre genug. Sie solle nicht wieder übertreiben.
    Warum sie sich hier einmische. Der Vater schnalzte mit der Zunge.
    Was er gesagt habe, sei nichts als der reine Ausdruck seiner Freude.
    Merkwürdig, sagte Maria. Du freust dich und glaubst es nicht. Ob er viele bittere Erfahrungen gemacht habe in seinem Leben?
    Ob sie auf die Zeit im Banat anspiele oder wie sie darauf komme?
    Sei ihr so eingefallen.
    Sie solle nicht so altklug daherreden, sagte der Vater. Und hatte gelacht.
    Und du, sagte sie zur Mutter. Warum glaubst du es nicht?
    Soll ich etwas anderes glauben als dein Vater? Ich allein?
    Sie hatte gelacht. Maria hatte mitgelacht. Aus Pein. Sie hatte sich geschämt. Für ihre Mutter. Und als sie dann die Hufe von mindestens vier oder fünf Pferden hörte, die die Einfahrt herauftrabten, und die Räder von mindestens zwei Kutschen, da hatte sie sich losgemacht. War hinter den Eltern zurückgeblieben, die hinüberschauten, wer da kam. Während der Hund zur Begrüßung bellte. Maria hatte sich vor eines der Beete gehockt. Strich mit den Händen über die kalten Schneeglöckchen-Polster. Hörte den Vater sagen, Das ist er. Dr. von Störck. Und hintendran der andere, der Starstecher … Dr. Barth. Alle beide. Donner und Doria. Komm, schnell.
    Die Mutter rief ihren Namen.
    Deutlicher kitzelten sie die kalten Blüten und Stengel, die sich unter ihrer Hand spannten. Als sei sie ein Sturm. Ein kleiner, harmloser Sturm, der keinem Schaden zufügt. Nur über die schwere, feuchte Erde braust, Schneeglöckchen kitzelnd.
    Jetzt schau dir deine Hände an, Resi.
    Die Mutter hatte versucht, sie hochzuziehen. Beim Wort Hände kam der Vater heran. Sie siebte

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