Am Anfang war die Nacht Musik
erntet. Mesmer schaut Hilfe suchend zum Hund. Dessen Rute sanft die Luft bewegt, während er gespannt darauf wartet, wer wohl und welchen nächsten Schritt wagt.
Mesmer sagt, da der Hund zu höflich sei, um ihn hinauszujagen, müsse er es selbst tun.
Dass Anna in der Tür steht, bemerkt er erst, als der Fremde sich ihr zuwendet.
Wie sie das dulde. Wo bleibe das Mitleid mit dem armen Geschöpf ?
Man hört ihn bestimmt im ganzen Haus. Dann nur noch Anna. Anna ist, was von ihm übrig geblieben ist. Sie überschreit den Fremden mühelos. Doch ihr Blick bleibt auf Mesmer gerichtet.
Ob er ein Mann sei?
Und ob. Sie lässt ihm ja keine Wahl. So, wie er früher immer die Schafe von der Weide treiben musste, so aufgerichtet, die Arme ausgebreitet, wie die Vogelscheuchen auf den Feldern. So treibt Mesmer den Fremden zum Eingang. Zum ersten Mal in seinem Leben verweist er eigenhändig einen Mann des Hauses.
So einfach hat er sich das nicht vorgestellt.
Obwohl er rückwärtstappt, ist der Fremde leicht zu lenken. Der Hund bellt, als gälte es, einen Takt zu halten. Nicht ganz klar, wen er verbellt.
Der Fremde fühlt sich angesprochen. Offenbar hat er keine Ahnung von Hunden. Der Hund bellt ihn an, ihn, Mesmer, seinen Herrn.
Der wird es notieren. Mit Anmerkung: Vielleicht schlägt der Hund doch eher seiner Mutter nach, und nicht dem intelligenten Vater. Und das, wäre das nicht ein winziger Beweis für die Richtigkeit der Ovulistischen Theorie?
Er wird es festhalten. Wie alles, was ihm auffällt in diesen Tagen, in denen das Haus kopfsteht. Oder sind es nur die Bewohner? Und die Fremden, die die Stimmung verderben. Während seinesgleichen sich nicht mehr blicken lässt. Die Wiener Wissenschaft schaut angestrengt an ihm vorbei.
Wien ist Provinz. Er muss an sein Werk denken. Die hiesigen Kleingeister werden es verhindern. Sie werden es zerreißen, noch ehe es sich entfalten kann. Das ist das Mindeste. Er muss sein Werk sich entfalten lassen. Muss weg von hier. Und er weiß, wohin. Nachts liegt er neben der schlafenden Anna und denkt an Paris, wo die Ärzte nicht nur Ärzte sind, sondern médecins-philosophes . Die wissen, dass der menschliche Körper eine Maschine ist. Eine feine Maschine. Die feinste Maschine der Welt! Und dass es eine Kraft gibt, die diese Maschine erst in Bewegung setzt.
4. Mai 1777
Als er früh, noch bevor die ersten Besucher auftauchen, in den Garten will, liegt vor der Tür ein Haufen Kot. Fast wäre er hineingetreten. Er ruft nach Kaline. Dass sie tatsächlich in der Tür auftaucht, hätte er nicht erwartet. Da steht sie.Geisterhaft bleich. Oder kommt das von den grellen Farben des Tuchs um ihre Schultern?
Sie solle den Haufen wegmachen.
Ihren angeekelten Blick, als er mit einem Silberlöffel zwei Pröbchen auf das Weiß eines Porzellanschälchens schaufelt, hält er für eine Frechheit. Auf einmal aber dreht sie sich um, blitzschnell. Übergibt sich über die Balustrade hinab in die Frühlingsblumen. Den Mund hinterm Tuch verborgen, richtet sie sich auf. Entschuldigung murmelnd.
Ob er sich Sorgen machen müsse?
Nein.
Was sie gegessen habe?
Wie die andern. Jede Menge Schmarrn gestern am Abend. Es sei wohl der Haufen.
Dann solle sie heute fasten.
Unter dem Mikroskop findet er Fasern und Körner. Schwer zu sagen, durch welche Eingeweide das ging. Mensch oder Tier. Riecht nach Tier. Dagegen sprechen Größe und Lage. Der ziemlich große Haufen lag mitten auf der Schwelle. So mittig wie berechnet. Er notiert den Schwellenfund.
Und: Seltsam, wie er sich in die barocke Fassade fügte. Tiere haben alle möglichen Gaben und tiefere Sinne. Sie scheinen oft klüger als der Mensch. Das belegen die periodischen Reisen der Fische und Vögel oder die Art, wie sie Gefahr vermeiden, dieselbe erraten. Aber besitzt ein Tier ästhetisches Empfinden?
Eine Frage, die er gern mit seinem Freund Messerschmidt diskutiert hätte. Im Kramer’schen Kaffeehaus. In dessenGewölben es tags so duster ist wie nachts. Was gäbe er drum, jetzt dort zu sitzen. Messerschmidt gegenüber. Zwischen ihnen eine Kerze. Und zwei Gläser Punsch. Anschließend eine Runde Billard.
Aber Messerschmidt ist nicht in Wien. Messerschmidt hat man aus Wien vertrieben.
6. Mai 1777
Etwas, das ihn zwingt, den Schwellenfund neu zu bewerten. Wieder in dieser viel zu frühen Frühe. Derselbe Ort. Mesmer, mit selber Garten-Absicht setzt denselben Fuß auf dieselbe Schwelle. Tappt auf einen Widerstand. Ein hohles Knacken. Er zieht den Fuß
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