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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Walser
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wollen sie vom Hund alles Mögliche wissen. Wie das Wetter wird. Oder die kommende Ernte. Sie wecken ihn, kaum ist er vor Erschöpfung eingeschlafen.
    Ob er ein Hund sei, will einer wissen. Oder ein verzauberter Jüngling?
    Während Mesmer und das Mädchen mit dem spanischen Rohr vorführen, was es vorzuführen gibt, lockt er ihn. Stupftihn mit dem Finger an. Bis der Gutmütige wedelnd den Kopf hebt. Das allerdings ist dem Fragenden eindeutig ein Ja. Aber was heißt das jetzt?
    Es ist, als erzeugten sie, wenn sie zu dritt vor die Leute treten, einen Wind. Eine freundliche Brise, die den Leuten Fragen ins Hirn pustet. Und wie Schiffe aus weiter Ferne tauchen diese Fragen auf einmal auf. Und müssen irgendwohin. In einen sicheren Antwort-Hafen. Mesmers Antworten sind nicht gefestigt genug.
    Herr Doktor, Sie haben ein Wunder vollbracht. Wie haben Sie das gemacht?
    Nein. Er habe kein Wunder vollbracht. Er sei Wissenschaftler. Er habe eine Methode entwickelt.
    Was für eine Methode?
    Er habe den feinsten Stoff der Welt entdeckt. Aus dem alles bestehe. Er habe die Kraft entdeckt, die Vis , womit der zu lenken sei.
    Eine Kraft, was für eine Kraft?
    Den Animalischen Magnetismus.
    Eine Zauberkraft?
    Eine Naturkraft.
    Ob die jeder besitze?
    Gewissermaßen, ja.
    Gewissermaßen?
    Ja. Gewissermaßen.
    Dann hätte das also jeder vollbringen können.
    Gewissermaßen ja …
    Ich auch?, will der Fragende wissen und fängt an zu lachen.
    Nein, natürlich nicht.
    Ja was denn nun?
    Seine Erklärungen fordern Erklärungen. Die sich immerfort verzweigen. Bis ins Ungewisse. Sie führen ihn bis zu dem Punkt, an dem auch er darüber staunt, was er vollbracht hat. Mit seinen Händen.
    Und was seinen Händen möglich ist, muss auch anderer Leute Hände möglich sein. Davon geht er aus.
    Trotzdem. Kein anderer hat das Mädchen geheilt. Weder Störck noch Barth, nein, keine dieser rechthaberischen Hofschranzen. Doch Mesmers Erklärungen verwirren die Leute. Man will ihn nicht verstehen.
    Dann sammeln sich die erwartungsvollen Blicke auf Maria. Der lebendige Beweis muss erklären können, was ihm widerfuhr. Aber nein, der lebendige Beweis weiß auch nichts. Über sich. Und was geschah. Maria fühlt sich durchlöchert. Auf immer dieselben Fragen legt sie sich Antworten zurecht.
    Fräulein, wie ist es, blind zu sein?
    Wie die Farbe Schwarz.
    Fräulein, was möchten Sie als Erstes sehen, wenn Sie von hier fortgehen?
    Schönbrunn. Das Belvedere. Den kaiserlichen Tiergarten. Die Schildkröten, die sie vom Streicheln kenne. Und die bissigen Affen. Die so laut schreien. Ob die so böse aussehen, wie sie klingen. Oder maskieren sie sich mit einem Lächeln?
    Fräulein, wie ist es, wenn man plötzlich sieht?
    Sehen ist begreifen, sagt sie.
    Was begreifen?
    Ferne begreifen. Nähe begreifen. Und Nähe aus der Ferne begreifen.
    Fräulein, macht Ihnen das Sehen Spaß?
    Ach ja, sagt sie. Sehen macht Spaß. Sehen, sagt sie, ist wie riechen. Die Hände sind leer, aber was man sieht, hat man.
    Heißt das, wer sieht, fühlt sich weniger allein?
    Nein, sagt sie. Wer hört, fühlt sich auch nicht allein.
    Aber Blinde werden doch weniger zerstreut von der Welt?
    Nein, sagt sie. Wenn ein Fünfsinniger sich mit einem Blinden in eine Gesellschaft begibt, so wird der Blinde viel zerstreuter sein. Er muss ja all die Stimmen unterscheiden, während der Sehende alles überschaut. Mit einem Blick.
    Fräulein, was sagt denn Ihr Vater dazu, dass Sie wieder sehen können?
    Er freut sich.
    Die Leute lachen, applaudieren. Maria macht einen Knicks. Und einen zweiten.
    Dann doch noch eine Frage. Sie wird jedesmal gestellt. Maria nennt sie die erbärmliche.
    Fräulein, schämen Sie sich nicht, als junge Frau. Sich öffentlich zur Schau zu stellen.
    Nein. Zum tausendsten Mal: Nein. Sie schäme sich nicht. Sie sei Klavieristin. Sie stelle sich nicht zur Schau. Umgekehrt. Die Welt stelle sich ihr zur Schau. Und sie, im Gegenzug, lasse diese Welt dann teilhaben. An ihrer Erfahrung. Weiter nichts.
    Aber, Fräulein, Sie sind doch ein Fräulein.
    Ja und? Mehr habe sie dazu nicht zu sagen.
    Sie steht auf. Zum tausendsten Mal steht sie auf. Dankt dem Applaus zum tausendsten Mal. Und sagt dann zum ersten Mal: Sie komme sich vor wie ein Affe. Ihr Lächeln sei Maske. Sei eine Lüge. Sie wolle kein Affe sein.
    Sie bahnt sich einen Weg durch die Leute, verschwindet die Treppe hinauf. Zieht eine Schleppe alarmierter Blicke hinter sich her. Für Sehende wie Nicht-Sehende, Kranke wie Gesunde löst

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