Am Anfang war die Nacht Musik
sich soeben die Hoffnung ihres Lebens in Luft auf.
Ob das Fräulein wirklich gesund sei?, wagt einer zu fragen.
Sei sie. Zweifelsohne. Mesmer beruhigt ihn. Nennt das Nervenkostüm etwas angegriffen. Weiter nichts. Ein bisschen abgegriffen von all dem Trubel. Und weil sie das spürt, weil sie einen Instinkt besitzt, entzieht sie sich.
Das Fräulein ist klug. Klug wie eine Schwalbe, denkt er. Die weiß, wann es Zeit ist, im Frühjahr vom Seegrund heraufzutauchen. Musiker sind wie Schwalben. Bestimmt von einer inneren Zeit.
Nur er. Lässt sich halten. Er hält sich selbst zurück.
Bleibt. Obwohl er spürt, wie der Wind dreht. Kein freundliches Lüftchen mehr im Raum. Kühl wird es, steif, spitz.
Er schaut auf die Eisenspitzen des Gartenzauns vor dem Fenster. Durch das offene Tor kommen Leute herein. Er sieht sie ein und aus gehen in seinem Haus. Sieht sie Schmutz hereintragen. Und er, er bleibt.
29. April 1777
Er bleibt. Anna zuliebe. Die nach einem Schneiderbesuch (dem dritten diese Woche) völlig entnervt nach Hause kommt. Ihre Verfassung, als sie ins Zimmer tritt. So hat er sie noch nie erlebt. Die forsche, allem trotzende Anna. Und auf einmal hält ihr Blick nicht mal dem seinen mehr stand. Weicht jeder Näherung aus wie ein verstörtes Tier.
Sie sei nach der Kleiderprobe auf einen Sprung bei ihrer Freundin in der Augartenstraße gewesen. Die Freundin, die sie gewöhnlich zu ihrem Gatten beglückwünscht und sie beneidet habe. Diesmal aber hieß es, Anna habe vielleicht ein glückliches Händchen in der Wahl ihrer Garderobe. Aber bei der Wahl ihres Gatten …? Ob sie wisse, was die Leute redeten. Nein? Na dann. Ihr um Jahre jüngerer Mann habe eine Affaire. Ob sie das wisse? Nein? Na dann. Er habe sich ein Mädchen hörig gemacht. Eine Blinde. Mittels Magnetismus. Seiner dämonischen Kraft. Seinem Animalischen Magnetismus. Den er außerdem keinem Gottesfürchtigen unter der Sonne je erklären könne. Enthemmt treibe er es mit der Blinden. Ob sie nichts merke? In ihrem Haus. Unter ihrem Dach.
Anna, um ihr eigenes Ansehen besorgt, entschließt sich, es nicht zu glauben, glaubt es nicht. Auch jetzt nicht. Das beteuert sie. Lacht, als sie das sagt, wie über einen gelungenen Witz. Dann, unvermittelt, wird sie laut.
Sie sei abgefahren, und man habe ihr von allen Seiten herzliches Beileid gewünscht.
Dass sie ihm jetzt gestattet, seine Hände auf ihre Schultern zu legen, zeigt, wie bedürftig sie sich fühlt.
Trotzdem. Es gelingt ihm, sie zu beruhigen. Bei anderen gelingt ihm das nicht.
2. Mai 1777
Am Vormittag geht er die Treppe hinab, da steht ein Fremder neben dem Brennholz. Eleganter Tuchmantel. Ordentlich steifer Zopf. Daraus schweben, wie Schneeflöckchen beiEiseskälte, vereinzelt Puderstäubchen. Schwerste Düfte. Steht da, als warte er auf jemanden. Als sei er verabredet, hier an dieser Stelle. Kaline hat wieder versagt. Hat die Tür offen gelassen.
Was er wünsche.
Draußen, sagt der Fremde, in der Kutsche sitze seine alte Mutter. Die sei dringend angewiesen auf Mesmer’sche Hilfe. Ob das Haus der Mutter zuzumuten ist, wolle er prüfen. Er schaue sich also ein wenig um. Ist schon an Mesmer vorbei, Richtung Behandlungssaal. Befingert, was ihm in die Quere kommt. Öffnet jede Tür.
Als sei dies sein Haus, durch das er Mesmer führe. Im Salon streicht er über Sessel- und Sofalehnen. Als sei er der Magnetiseur, der seine animalisch-magnetischen Kräfte demonstriere. Allein, er fasst alles an, und nichts lädt sich auf. Mesmer überprüft es mit seinen Händen. Den Spiegel, das Spiegel-Glas, den goldenen Rahmen. Die schwarzen Wangen von Mesmers Büste streichelt der Fremde kurz und ohrfeigt sie flüchtig. Ein vertrauengründender Spaß. Lacht dabei. Weiter, den Kaminsims entlang.
Die Kerze, die Nautilusmuschel. Hinüber zum roten Vorhang. Den schiebt er beiseite. Hat schon das spanische Rohr in der Hand.
Aha. Er hebt es. Hält inne. Holt aus. Mesmer weicht erschrocken zurück. Der Fremde prügelt die Luft mit dem Stock, dass es rauscht.
Das also sei der Zauberstab. Und wo ist das Mädchen. Das verhexte.
Statt der angekündigten alten Mutter aus der Kutsche stehen nun die schweinischen Vorstellungen des Herrn im Raum.Dabei hält er Mesmer nicht nur ein kleines Kruzifix entgegen. Sondern nennt ihn auch noch ein moralisch verlottertes Individuum. Eine wehrlose Blinde zu verführen.
Wehrlos? So kommt er sich vor, als er den Fremden auffordert, das Haus zu verlassen. Und nichts als freche Blicke
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