Am Anfang war die Nacht Musik
Müller um eine zweite, dann eine dritte Decke gebeten. Er hat schreien müssen, das Wasser überschreien. Eine Magd hat die Decken, die zweite, die dritte gebracht. Hat an die Zimmertür gehämmert, dass sein Bett wackelte. Die Leute hier reden nicht. Lassen das Wasser sprechen. In seinem vielstimmigen Rauschen. Das die Mühle durchdringt wie ein Schweigen. In das hinein er einen Klang setzte. Er hatte das Fenster geöffnet, die Glasharmonika ausgepackt, aufgebaut und angefangen zu spielen. Wie gut, dass die Harmonika gerade noch Platz hat in seinem Zimmer. Diesem Zimmerchen, kaum halb so groß wie der magnetische Zuber. Den er in Wien zurückgelassen hat. In Annas Obhut.
Sie hatte ihn für verrückt erklärt. Freiwillig mit normaler Post zu reisen. Ob er den Verstand verloren habe. Warum ihr Gatte nicht wenigstens in einer Kalesche reise. Ihr zuliebe in der Kalesche.
Mehr habe sie zu seiner Paris-Phantasie nicht zu sagen. Außer, dass sie verstehe, dass er wegwolle. Und dass er in einer Kalesche für sich sei. Denken könne. Mit sich selbst reden, so viel er wolle. Zeit spare. Und Tuchfühlung mit Fremden … das Fremde am eigenen Leib, sagte sie. So solle Paris nicht zwischen ihnen stehen wie eine große Unbekannte. Von sich solleer pausieren und von den Wienern und ihren Gemeinheiten, aber nicht von ihr. Deshalb ihr guter Rat, in einer Kalesche zu reisen.
Er wolle ihr nicht widersprechen, widersprach er ihr, aber Leute störten ihn nicht. Sie wisse doch, wie gern er Menschen treffe. Irgendwie seien sie doch immer interessant. Und er völlig gesund. Und kräftig genug. Noch.
Das wisse sie, hatte Anna gesagt, und hinzugefügt, Aber bitte. Die Konsequenzen habe er sich selbst zuzuschreiben.
Er wollte reisen wie jeder andere auch. Alles andere war Verschwendung. Das allerdings sagte er nicht. Es war ein Reizwort. Bei dem Anna sofort explodierte. Und er wollte einen leisen Abschied, einen leichten, der das Zurückkommen leicht machte. So hatte er ihr auch wie en passant mitgeteilt, dass er eine Weile für sich sein müsse. Das Gefühl einer Veränderung brauche. Und hatte ihr nicht gesagt, dass in ihm mitunter ein kräftiger Kranker mit einem schwachen Gesunden konkurrierte. Hier fehlten ihm die Worte, und Paris war wenigstens eines, das zu seinen Symptomen passte.
Anna war kurz aufgebraust. Hatte ihre schöne Stimme erhoben. Keine konnte sich so jäh so bedroht fühlen von auch Ungesagtem wie seine Anna. Er könne sie hier, schrie sie, nicht einfach sitzen lassen.
Aber spätestens, als er ihr die Hand auf den Arm legte und sie bat, ihn, den Arzt, zu vertreten, weil er wisse, wozu sie in seiner Abwesenheit, ohne die Anwesenheit seiner nicht in Sprache fassbaren Kraft, fähig sei, fühlte er sie wieder versöhnt.
Sie versprach, in die Bresche zu springen. Sie versprach, die Stellung zu halten. Sie versprach, den Zuber zu hegen. Solangees sein müsse. Nach dem überwundenen Schock hatte sie ihm eine Nacht lang einen Abschied gewährt, der ihn schon jetzt auf ein zärtliches und inniges Wiedersehen hoffen ließ.
Und wie sie ihn dann früh am Morgen, verpackt in eine ihm neue, schwarzbeige gestreifte, à la mode schimmernde Provokation nach Wien zur Poststation begleitet hatte, auf die elfenbeinfarbenen Spitzen deutete und flüsterte, die kämen von da, wo er hinfahre. Mit ihm aus der Kutsche ausstieg und flüsterte, je schneller er weg sei, desto schneller sei er wieder hier. Und ihn, die Hand wie zum Tanz auf seinem Unterarm, zu der gelb-schwarzen, wie passend, fand sie, zu ihrem Kleid geschneiderten Postkutsche hinüberführte. Die in der Morgensonne glänzende Kutsche spöttisch musterte und sie eine Hornisse nannte, die ihr den Mann raube. Die schwarzen Pferde für ausgeruht und den Postillon für nüchtern erklärte – ein Glück. Und wie sie plötzlich stehen geblieben war. Ihn, als er sie zum Abschied küssen wollte, an ihren glänzenden, leise à bientôt hauchenden Lippen vorbeilenkend. Keine Tränen, als er einstieg. Nur ein gesenkter Blick, als die Kutsche anfuhr. Dem winkte er zum Abschied. Und entdeckte plötzlich diesen neuen Zug auf ihrem Gesicht. Diese Spur von Versteinerung. Die ihn an ein Tier im Winter denken ließ. Das hungrig ist. Still dasitzt. Dem Schnee ergeben wie dem Menschen. Vereist, verschlossen.
Wie viele Grenzen standen ihm bevor. Wie viel Theater um Passkarten, Koffer und Taschen und Zoll. Jeder Reisende kennt es. Den Text für die Grenzwärter hatte er im Kopf parat. Was alles
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