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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Walser
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ständig auszubrechen. Sehen Sie, die Kerben in den Stäben. Kein Wort mehr spreche der Vogel seit dem Tod seines Herrn. Und seit Kurzem zupfe er sich seine Federn aus. Ob er sich auch mit Papageien auskenne?
    Mesmer sah den Vogel an, der jetzt den Kopf schräg legte und sich an einen der Gitterstäbe hing, genau den einen vonsicher mehr als drei Dutzend, der Mesmer nun jede Möglichkeit nahm, seinem Blick auszuweichen.
    Als die Pferde anzogen, ließ der Vogel apathisch die Flügel fallen. Und nur in den Kurven noch zitterte das Blutrot seiner gewaltigen Unterfedern zwischen den Gitterstäben und zuckte durch die dünne Sandschicht am Boden der Voliere. Es gibt Geräusche, die Mesmer nicht erträgt. An Holz oder Metall scheuernde Federn, zum Beispiel Federn auf Gitterstäben. Federn klingen nur in der Luft gut.
    Und wie der Vogel nach jeder Kurve in den spärlichen Sand am Käfigboden schiss. Dabei fraß und trank er nicht in der sich hinschleppenden Zeit. Mesmer lenkte seine Gedanken sofort auf die Frage, woher der Vogel wohl nahm, was da aus ihm herausfiel oder eher tropfte. Während die Besitzerin, gekleidet im Samt vom selben Ballen, aus dem auch die Nachthaube des weit über eine Elle großen Vogels zugeschnitten war, ihn mit Sprachübungen abzulenken versuchte.
    Akzentuierte Blaubart .
    Wiederholte Blaubart .
    Hob den Zeigefinger
    Ich. Bin. Dein. Kleiner. Blaubart … Ich. Hab. Dich. Lieb … Ich. Spreche. Mit. Dir.
    Nichts. Ein stummer Papagei mit einem kahlen Fleck auf der Brust. Um die Blamage zu überspielen, klemmte sie allerlei bunte Leckereien zwischen die Gitterstäbe. Kleine Apfelschnitze und Brotstückchen. Salatblättchen. Hirseähren. Biscotto. Getrocknete Aprikosen und Pflaumen. Haselnüsse. Bis der Käfig wie kostümiert aussah. Oder wie einer dieser Köpfe von Arcimboldi.
    Und der schmucke Vogel litt. Was sich sofort auf Mesmer übertragen hatte. Er schlug vor, das Tier doch herauszunehmen. Worauf die Samtene hysterisch reagierte und ihr Tier eine Bestie nannte.
    Mesmer öffnete den Riegel. Zog das Türchen auf. Sah den starren Blick, mit dem der Vogel nun seine Hand fixierte. Und spürte schon das Gefieder. Und wie sich der Vogel wegduckte unter seinem Zugreifenwollen. Er strich über die von Gelb zu Schwefel changierenden, gespreizten Flügelfedern.
    Mesmer schloss die Augen: Nichts blieb von diesem prächtigen Fremdling als ein Wiener Rabe. Die Elstern und die Häher am Konstanzer See.
    Und als er die Hand nach einer Weile zurückzog, der Vogel sich nun kopfüber an den Gitterstäben festkrallte, und Henriette noch schimpfte, aber halbherzig, wie er es wagen könne, den Ara ihres Seligen zu berühren, da unterbrach der Papagei sie. Sagte mitten hinein in ihr Gezeter, Ist Albert bei dir? Und wenn, wie? – Gott verzeih mir die Frage .
    In seiner gequetschten Papageienstimme. Und dabei begegnete sein rechtes Auge, dieser schwarze, aus einem Nest gelben Flaums starrende Spiegel dem erbitterten Blick seiner Herrin. Die sich beklagte, dass ihr Seliger ihr nie vorgelesen habe. Wohl aber dem Vogel. Der Vogel. Er habe sich alles gemerkt. Der müsse doch nun, was ihr Mann gelesen habe, mit ihr teilen. Er könne wohl ganze Romane auswendig. Die dürfe er doch nicht für sich behalten. Das intelligente Tier. Das intelligente und böse Tier, sagte sie. Das könne er ihr glauben.
    Aber mit seiner Hilfe, das sehe sie, wende sich alles zum Guten. Dass der Vogel jetzt gesprochen habe, beweise es. Ersei ein wahrer Zauberer, sagte sie und war mit Mesmer ausgestiegen. Hatte sich mit ihm in der Mühle einquartiert. Hatte mitten in der Nacht, mit dem Käfig in der Hand, an seine Tür geklopft, sich ins Zimmer gedrängt.
    Er möge ihr verraten, wie er das angestellt habe. Der Vogel sei völlig verändert.
    Sie waren die ganze Nacht zusammen. Der Papagei plapperte munter vor sich hin, was keinen störte, denn der Mühlbach war zu laut, und Henriette war dicht an Mesmer herangerückt. Und er hatte ihr von seiner Entdeckung erzählt. Und sie hatte Fragen nach der Natur seines Fluidums gestellt. Kluge Fragen, die er ihr nie zugetraut hätte. Eine Materie. Eine feinstoffliche, nannte er es und betonte das Wort Materie, damit sie am nächsten Morgen nicht glaubte, sie habe die Nacht mit einem Zauberer verbracht.

    Nach so vielen Tagen in der Postkutsche fühlt er sich, als habe man ihn zusammengeschlagen. Kein Wunder, dass die Leute an Zauber glauben. Wer würde nicht gern vom einen zum andern Ort fliegen. Grenzen

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