Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Walser
Vom Netzwerk:
in seinen Koffern zu finden sei und warum. Nur dass die Grenzwärter natürlich nie das hören, was er meint, sondernimmer das Gegenteil heraushören. Das, was er nicht gesagt hat. Sie sind gepolt auf das, was weder in seinen Taschen zu finden ist, noch in seinen Aufzählungen, noch in seinen Gedanken. Sie hören es heraus. Als schlüpften ihm zwischen den Wörtern Gespensterwörter aus dem Mund. Die nur Grenzwächter hören können. Weil sie sich, wenn sie sie hören, ein bisschen weniger überflüssig fühlen. Ein bisschen wichtiger. Nur deshalb ist sich immer einer von ihnen sicher. Reibt sich mit dem Blick auf Mesmers Gepäck die Hände. Wühlt sich schweigend durch die Taschen. Und findet es nicht, das Gespenst, das sich versprochene.
    Kutsche zu. Und ab die Post. Wieder eine Grenze hinter sich gelassen. Die Wiener Ärzteschaft. Die Kaiserin. Und die wie die Finken im Hochsommer vor der Jagdsaison zwischen den Wienern hin und her schwirrenden Nachrichten.
    Die Konsequenzen, von denen Anna so andeutungsweise gesprochen hatte, spürte er spätestens ab Linz. Seinen vom Sitzen auf der Holzbank grün und blau gedengelten Hintern. Früher, als Junge am Straßenrand, hat er die vornehmen Frauen beneidet. Glaubte sie in ihren ausladenden Röcken vor derartigen Wirkungen geschützt. Vornehme Frauen, wo sie auch Platz nahmen, setzten sie sich nicht immer wie in ein üppiges weiches Nest?
    Erst seine Patientinnen hatten ihm entdeckt, dass er sich täuschte. Und Anna hatte ihm mehr als anschaulich beigebracht, wie viel Verzicht sich unter der Opulenz dieser Verpackungen verbarg.
    In Karlsruhe war eine dieser vielschichtig Verpackten zugestiegen. Quetschte sich neben ihn auf das stumpfePolsterleder. Bemüht, die Stoffmassen klein zu halten, hatte sie ihn sofort wissen lassen: Normalerweise miete sie eine ganze Kutsche für sich allein. Nur sei er, wer sonst, ihr diesmal zuvorgekommen. Aber sie werde sich arrangieren.
    Ihr Diener trug ihr Gepäck herein. Eine riesige, mit weinrotem Samt bedeckte Voliere, die er auf der freien Bank ihnen gegenüber platzierte und vis à vis seiner Herrin ausrichtete. Dreimal lief er und kehrte wieder, stapelte jedesmal eine unzählbare Menge riemengegürteter kleinerer Koffer, vertäuter kleinerer Kisten, verschnürter kleinerer Kartons um die samtene Glocke herum. Lüftete das Geheimnis und verließ grußlos die Kabine.
    Blaubart, stellte die Dame vor, indem sie die Samtglocke hob. Ein ausgewachsenes Exemplar der Gattung Amazona festiva , älter wohl als sie beide zusammen. Nicht mehr und nicht weniger als, nach Linnaeus’ Systema naturae , wie er wusste, ein Ara.
    Und er, sagte sie, sei wohl Gelehrter.
    Naturforscher, sagte er. Und Arzt, fügte er hinzu.
    Sie sei übrigens Henriette, Madame Henriette.
    Und das mit dem Arzt habe sie sich schon gedacht. Er sehe eindeutig so aus. Ein Arzt auf Reisen, fügte sie hinzu, das sei etwas ganz Besonderes. Ganz besonders erfreulich. Mit Arzt an Bord fühle sie sich sofort gut aufgehoben. Behütet und beschützt.
    Er musste ihr widersprechen. Erstens seien Ärzte immer auf der Reise, das gehöre quasi zu ihrem Beruf. Und zweitens gelte für die meisten von ihnen, dass sie sehr leicht von ihrer Straße abkämen. Und einmal von der Straße abgekommen –verirrt sich ein Arzt weiter und weiter. Weil Ärzte immer nur das Geradeaus im Sinn haben, statt sich auf ihre Spur zu besinnen und sich neu zu orientieren.
    Interessante These, sagte sie. Was denn sein Ziel sei?
    Paris, sagte er. Paris fürs Erste.
    Fürs Erste? Ob Paris nicht genüge?
    Er wolle alle Hauptstädte Europas besuchen. Genauer gesagt, seien es die Gelehrten der Hauptstädte Europas, die ihn lockten.
    Na dann, sagte Henriette. Habe er ja allerhand vor sich. Das Steckenpferd ihres seligen Gatten sei die Ornithologie gewesen. Der hätte also auch auf seiner Liste stehen können. Aber jetzt sei er tot. Und seine Forschungsergebnisse habe er weder aufgeschrieben, noch habe er sie ihr mitgeteilt. Nur dem Papagei. Dem hat er alles anvertraut. Aber der rede ja nicht mit ihr.
    Der Vogel versuchte indessen, die Flügel zu spreizen.
    Sehen Sie, sagte Henriette. Seine Augen. Dieser Blick. Wie abgeschaut – ihrem verstorbenen Mann. Der habe das Vieh von einem Spanier, einem schillernden Vogel, wie man so sagt. Sie habe schon oft dran gedacht, dem Tier ein paar ihrer eigenen Wimpern zu spendieren … sie unter die blaue Haube … über die nackten Glubschaugen zu kleben.
    Übrigens: Blaubart versuche

Weitere Kostenlose Bücher