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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Walser
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Heulen oder nach Lachen zumute sei.
    Und dann sei er plötzlich da gewesen.
    Mozart war mir auf Anhieb sympathisch. Wie etwas Symmetrisches. Abgerundetes. Seine Stimme schon. Hell und mit Kern. Einem runden. Nie spitz. Und seine Hände. Kaum größer als ihre. Und ob so eine kleine Hand eine Tastatur beherrschen könne, sei ihr eingefallen. So ein Unsinn, habe sie gedacht. Ihr gelinge es ja auch. Er habe ihre Sicilienne gelesen. Und sofort gewusst, dass sie gern tanze. Das habe ihr, die Musik nur hören und nicht auch lesen könne, imponiert. Liege ja allerdings auf der Hand. Bei einer Sicilienne .
    Nur so hingesummt habe er die Melodie, und sie dazu einige Schritte geführt.
    Was für ein Glück, dass sie komponieren dürfe. Er habe eine Schwester. Die dürfe nicht mehr. Zu seinem und ihrem Leid. Nicht, dass sie es nicht könnte. Sie habe Tonsatz gelernt und beherrsche ihn. Und finde zu jeder noch so abgedroschenen Melodie eine interessante Bassstimme. Die sie auch noch äußerst kunstvoll variieren könne. So oft sie wolle. Und das seien dem Herrn Vater Möglichkeiten genug. Accompagnieren ja. Komponieren nein. Sie wird ja heiraten. Da halte der Vater ihr Talent an der Longe.
    Zu viele Fähigkeiten seien nicht hilfreich. Für eine Frau. Die einen Mann finden wolle.
    Und da habe der Herr Vater, scheine es ihm, das erste Mal im Leben der Geschwister nicht zuerst an ihn gedacht.
    Aber er, er dürfe beides. Könne alles. Und verspüre dieses Urweibliche in sich. Ja, ohne diesen weiblich tänzerischen Aspekt sei er doch gar nicht fähig, auch nur drei Töne zu harmonisieren.
    In diesem Moment, Kaline, sagt Maria, sei ihr etwas aufgefallen. Zwischen ihr und ihm. Etwas, das, um Harmonie zu werden, nach Höherem verlangte. Der Doktor würde es vielleicht das Magnetische nennen. Das Magnetische sei ein ganzes Meer von Gemeinsamkeiten.
    Er war hungrig. Wie sie. Er stürzte sich beim Kaffee immer auf dieselben Plätzchen wie sie. Auf die dunklen, feuchten. Er mochte sie nicht nur. War verrückt nach ihnen. So verrückt, dass ihre Hand im Plätzchenkorb andauernd der seinen begegnete. Die sich hinabwühlte wie ihre, hinab durch diebuttrig blassen, zuckerbepuderten, hinab. Und was sie heraufbeförderten, verschlangen sie sofort.
    Und er sagte, jetzt müssten die Blassen dran glauben.
    Im Korb begegneten sich mittlerweile nur noch unsere Finger. Zurückgepfiffene, braunverschmierte, abgeleckte Klavieristen-Finger. Die nie und von nichts genug bekommen. Weshalb sie, sagt Maria, nach Kaline geklingelt habe. Sie, Kaline, jedoch blieb die größte Leerstelle des Nachmittags. Nur der Hund sei angetrottet gekommen. Und beide hätten sie ihm ihre Hände hingehalten. Die habe er sehr gern sauber geleckt. Alle vier. Und Mozart habe vermutet, außer ihnen dreien sei wohl keiner im Haus. Und auch wenn sie das weder mit Sicherheit verneinen noch bejahen konnte, habe sie Bedauern in seiner Stimme gehört.
    Vielleicht hätte er ja gern Karten gespielt.
    Eine Runde Tarock. Aber nicht zu zweit! Sie habe, um ihm etwas zu bieten, angeboten, ihm ihre Naturaliensammlung zu zeigen. Die Vielzahl von Schnecken und Muscheln. Die medizinischen Würmer.
    Er habe sofort zugestimmt. Leider.
    Bei den Muscheln, Steinen, Blättern und Federn hätten sie sich nicht lange aufgehalten. Schon eher bei der schlafenden Schnecke. Die er in der Hand wog und ihr Gewicht mit den leeren Schneckenhäusern verglich. Sie drehte und wendete. Sie an die Nase führte und daran roch. Und an das verschlossene Gehäuse tickte. Ob die da drin wohl noch am Leben sei? Das habe ihn fasziniert. Auch wenn er nicht sagen konnte, warum. Sie vielmehr nach ihrem Faible für die kleinen Schleimer fragte. Und sie habe gesagt, dass sie die Schnecken beneide. Weil sieihre Augen ein und aus fahren können. Ganz nach Belieben. Das würde sie auch gern. Das sei doch der Idealzustand überhaupt. Augen zu haben, die man verschwinden lassen könnte. Und dann die Egel. Die interessierten ihn. Auch wenn er nur grünes Wasser sah. Und deshalb ans Glas klopfte. Wie um sie zu wecken.
    Hineinfassen, nein, das wollte er nicht. Er lachte zwar, doch Spaß à part . Der Wurm sei ihm unheimlich.
    Er habe seine Finger befeuchtet und angefangen, den Rand des Glases zu reiben. Damit einen Ton erzeugt. Ein durchdringendes Dis. Wie der Doktor auf der Gläsermaschine. Und kurz darauf noch einen Ton: ein lautes, berstendes Knacken. Und um das Glas herum sei es feucht geworden. Und all das nur, weil Kaline ihrem

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