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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Walser
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Magen zu viel zugemutet habe und auf Marias Klingeln hin nicht erschienen sei.

    Später, am Klavier, habe Mozart hinter ihr gesessen. Wo sonst Riedinger sitzt. Sie habe sofort in ihre Sicilienne hineingefunden. Gut gespielt. Leicht und beschwingt, und trotz der Patzerchen sei sie sehr ruhig gewesen.
    Im Gegensatz zu Mozart. Der auf seinem Stuhl herumgerutscht und auf einmal, blitzschnell, mit ihm aufgerückt sei. Neben ihr saß, an der Klaviatur. Und dass sie vor Schreck innegehalten, die Luft angehalten habe.
    Weiter, weiter atmen, habe er gesagt. Und: Welche Tasten spielen Sie lieber, Fräulein, die dunklen oder die hellen?
    Wie?
    Nein, was. Welche mag sie lieber. Die schwarzen oder die blonden. Während sie überlegte, hätten sich seine Hände aufdie schwarzen gestürzt. Und von dort aus hätten sie spielerisch alle Tasten erklommen. Er habe ihr ihre Sicilienne vorgespielt.
    Ob sie’s mal schneller probiert habe?
    Nein. Nie.
    Ob es gefalle? Sei doch auf jeden Fall möglich.
    Wo er recht hat, hat er recht.
    Sie habe nichts mehr gesagt. Sie habe die Zeit plötzlich genau verstanden. Und vergehen lassen.
    Nur als er sie nach seinem Anschlag fragte. Ob der ihr gefalle. Habe sie Ja gesagt. Und wie.
    Ja, wie?
    Ja. Wie Regen vielleicht. Wie schräg rieselnder Regen. Oder Perlen. Die ins Gras tropfen.
    Sie hätten gelacht.
    Ernst sei sie später geworden. Als er aufgestanden war. Und sie dachte, er wolle kurz aus dem Haus, hinüber ins Häuschen. Er aber habe ihr den Kopf gestreichelt und gesagt, bei ihr sei es Genie. Und er wolle etwas für sie komponieren.
    Und dann, bevor er den Raum verließ, drehte er sich um und rief, Ostentatio vulnerum . Zeige deine Wunden. Mit diesen Worten sei er im Haus untergetaucht.
    Da sie ihn weder habe kommen hören noch gehen, sei sie nicht sicher, ob sie das Ganze vielleicht geträumt habe. Und, ob Traum oder nicht, sie müsse gestehen, dass sie Kaline den ganzen Tag recht wenig vermisst habe. Nur jetzt vermisse sie sie. Weil sie so verkrümmt hier herumliege und nichts sage.
    Hallo?
    Nichts.
    Wie es ihrem Magen gehe?
    Nichts.
    Vielleicht könne ihre Hand etwas lindern. Bestimmt habe sie wieder vom Schmarrn gegessen. Was der Doktor meine?
    Kaline richtet sich auf.
    Der Doktor meine, ein Kind sei kein Schmarrn. Und seine Gattin meine, sie werde beten für sie. Aber die Schande, meine sie, müsse aus dem Haus.
    Und der Doktor empfehle sie zum Gebären in eins dieser Häuser, wo solche wie sie ihre Kinder zur Welt bringen dürften. Und nach dem Gebären empfehle er ihr, zu verhindern, dass die Nabelschnur durchschnitten werde. Denn sonst, habe er gesagt, bekomme das Kind später die Pocken. Was sie sicher nicht wolle. Ein von Narben verwundetes Kind.

Fünfzehntes Kapitel
Tünsdorf, Juni 1777
    Ist es eine Reise oder eine Flucht? Lockt es ihn oder treibt es ihn? Die Kraft, die ihn lockt, nennt er Paris. Auch wenn Paris keine Kraft ist, sondern eine Stadt. Und der andere Pol, der eigentlich eine Stadt ist, sich aber anfühlt wie eine Kraft in seinem Rücken, die ihn forttreibt, nennt er Wien. Die Frage, welche der Kräfte bestimmender ist, die ziehende oder die treibende, ist sein schwerstes Gepäck.
    Er hat darüber nachgedacht, in der Postkutsche, stundenlang. Und wie denkt es sich in einer Postkutsche? Bewegung und Denken tun einander grundsätzlich gut. Sofern die Gedanken dem einlullenden, durchwalkenden Zockeltrab vierer Kaltblüter zu widerstehen vermögen. Wenn er zum Fenster hinaussah, erwartete er hinter jedem vorbeizockelnden Hügel einen neuen eigenen Gedanken.
    Paris. Paris, hat er gehört, sei nicht wie andere Städte, das Ende einer Reise, sondern der Anfang. Den er sich so sehnlich herbeiwünschte wie das Ende der Kutschfahrt. Erschöpfter als die Pferde empfand er sich, wenn er sah, wie sie an den Relaisstationen die Köpfe hängen ließen. Sie wurden ausgetauscht. Er nicht.
    Etwa in der Mitte zwischen Wien und Paris, Paris vielleicht ein klein wenig näher, war er ausgestiegen. Hatte sich einquartiert in einer Mühlenwirtschaft. In einem Tag und Nacht vom Mühlbach umrauschten Zimmer.
    Vom schmalen Bett aus hört er Wasser. Und wenn er den Kopf hebt, sieht er Wasser. Wie es einen felsigen Abhang herabstürzt, auf ihn zu, als wolle es ihn wegspülen. Das Haus mit dem Zimmer, den Tisch mit dem Stuhl, das Bett mit ihm. Dann schafft es aber doch noch die Kurve und schießt aufs Mühlrad zu. Das sich dreht und dreht.
    Er spürt die feuchte, kühle Luft auf der Haut. Er hat den

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