Am Anfang war die Nacht Musik
Obwohl er doch glaubt, er wisse es sowieso. Und eigentlich nur überprüfen wollte, ob er richtiglag mit seiner Vermutung. Das sei wichtig. Klar. Der Doktor und seine Wichtigkeiten.
Sie habe an Mozart gedacht, habe sie gesagt. Da behauptete er, er habe auch an Mozart gedacht. Sollte ich das glauben? Sie habe an eine Sonate gedacht.
Und er sagte, G-Dur. Das Allegro spirituoso .
Ja genau. Und dann fing der Doktor auch noch an, die Melodie zu summen. Genau die.
Komisch, habe sie gesagt, dass dieselbe Musik zur selben Zeit am selben Ort (in ihren Köpfen nämlich) spiele.
Den Doktor wundert nichts. Er habe nichts anderes erwartet. Das habe sie allerdings nicht so spirituoso gefunden. Sie hätte doch auch an Bach denken können oder an Haydn.
Ja, sagte der Doktor. Das Entscheidende sei aber, dass sie an Mozart dachte, weil er an Mozart dachte.
Und bevor sie erwidern konnte, dass sie an Mozart deshalb gedacht habe, weil ihr seine Musik nicht mehr aus dem Kopf gehe. Und sie den großen Mozart doch schon seit Langem habe treffen wollen. Um ihm vorzuspielen.
Da habe er gesagt: Ich habe ihn eingeladen. Den kleinen großen Mozart.
Kaline, sagt sie. Was sagt man dazu. Er hat ihn eingeladen. Zartmo.
Zwei Silben, die bei Kaline nicht fruchten. Sie liegt da. Wie von allem verlassen. Sogar von sich selbst. Während Maria regelrecht erblüht bei den Worten, Mozart sehen. Musizieren sehen. Musizieren, musizieren.
Das habe der Doktor versprochen. Falls sie, das Fräulein, nichts dagegen habe.
Das Gegenteil von dagegen. Sie habe gleich überlegt, was sie ihm vorspielen werde. Gute, gute Frage.
Mozart Mozart vorspielen sei ja keine gute Idee. Nein. Unmöglich. Nach langem Hin und Her habe sie sich dann für etwas Eigenes entschieden. Die Sicilienne . Ihr bestes Stück.
Also sei sie, Maria, nach der Sitzung und der obligatorischen Ruhepause, direkt weiter zum Klavierzimmer. Wo Riedinger, ihr lieber Freund, ihre rechte Hand, ihr allererstes Ohr, ihr einmal mehr seine Freundschaft bewies. Und mit ihr zugunsten der Musik auf den Mittagstisch verzichtete. Was wäre sie ohne Riedinger.
Ohne sein Hören. Er hört so genau. Jede Laune jeder Note hört er. Und versteht er. Und jede Stimmung. In jeder Pause.
Das ist ja nicht selbstverständlich. Die meisten Leute hören ja nichts, auch wenn sie sich Mühe geben. Sie überhören, wie der Dr. Mesmer es ausdrücken könnte, wenn ihm denn ein Ausdruck seines Tuns gegeben wäre. Jener aber, Riedinger, wie dessen ganzer Körper immer involviert sei in sein Hören. Und seine Finger. Oder Hand oder Fuß. Sie brauche nur zu nicken, und schon notiere er, was er gerade gehört habe. Und sage etwas dazu.
Ob das eine Sicilienne sei oder ein im Sechsachteltakt davonrennendes Pferd.
Mozart komme, habe sie gesagt. Ob er das wisse?
Na und. Riedinger habe mit seinem Schulterzucken bewiesen, dass er der zweite Mensch sei, den Mozart nicht aus der Fassung bringen könne.
Der sei schon hier gewesen. Oft und öfter.
Und ist er nett?
Die Unangemessenheit ihrer Frage sei Riedinger natürlich nicht entgangen.
Aber wieder einmal bewährte er sich. Als ihr Freund und als ihr Unterstützer. Ließ sich nichts anmerken. Sagte nur, das sei nicht die Kategorie, unter der er Herrn Mozart je bedenken wolle.
Einfach so, ganz nüchtern.
Ganz wie er meine, habe sie gesagt.
Und, na ja, habe er dann hinzugefügt, ein bisschen speziell sei er ja vielleicht, der Herr Mozart.
Was das heiße?
Das werde sie schon noch sehen. Zumindest, falls sie gedenke, ihre Augenbinde abzunehmen.Ob Kaline ihr überhaupt noch zuhört? Sie nickt jedenfalls. Eindeutig. Aber es kostet sie Kraft, den Arm zu heben, ihn übers Gesicht zu legen.
Natürlich, wer nähme für Mozart nicht die Augenbinde ab.
Für Mozart nähme man alles ab, habe sie gesagt. Und von Riedinger ein Räuspern geerntet. So wie er sich immer räuspere, wenn sie sich in der Tastatur und also im Ton vergreife.
Sie wolle Mozart möglichst vielsinnig begegnen, habe sie schnell hinzugefügt. Worauf Riedinger murmelte, das klinge ihm eher unsinnig, um sich dann rasch zu entschuldigen. Seine Schülerin warte bereits am Naschmarkt auf ihn. Er war hinausgerannt.
Sie wollte Mozart hören. Riechen. Sehen. Am liebsten hätte sie ihn abgetastet. Wie die quietschig verdrehten Messerschmidt’schen Köpfe in Messerschmidts Werkstatt. Wohin Mesmer sie mitgenommen habe. Diese Kunstkopfköpfe. Mit den seltsam gewundenen Gesichtern. Bei denen sie nicht wisse, ob ihr nach
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