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Am Ende der Straße

Am Ende der Straße

Titel: Am Ende der Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Keene
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sich dieser Eindruck, und als wir ihn erreichten, wurde dieser Unterschied beunruhigend deutlich.
    Wir fuhren durch die Stadt, überquerten die Route 60 und erreichten die Außenbezirke von Walden, bis wir schließlich vor dem großen Schild an der Route 711 anhielten. Die Seite des Schilds, auf der die stolze Aufschrift Willkommen in Walden, 11 873 Seelen prangte, war der Dunkelheit zugewandt. Auf unserer Seite stand Sie verlassen nun Walden. Bitte kommen Sie bald wieder. Die Worte schienen in der Luft zu hängen, als würde das Schild sie denjenigen zurufen, die bereits in die Dunkelheit hinausgegangen waren.
    Bitte kommen Sie bald wieder …
    Aber wir waren nicht gegangen. Wir waren immer noch hier.
    Ich prüfte die Tankanzeige. Der Tank war noch halb voll. Schließlich fuhr ich an den Straßenrand und stellte
die Automatik auf Parken. Dann überlegte ich, was zu tun war. Ich würde auf gar keinen Fall die Scheinwerfer ausschalten. Die brauchten wir. Aber obwohl ich Sprit sparen musste, zögerte ich, die Scheinwerfer anzulassen, wenn der Motor nicht lief. Falls die Batterie den Geist aufgab, wäre es ein ziemlich langer Fußmarsch bis nach Hause, und unter diesen Umständen war es immer noch besser, Benzin zu verschwenden, als durch die Dunkelheit zu stolpern. Also beschloss ich, den Motor laufen zu lassen. Dann machte ich noch schnell die Musik aus. Diese Ablenkung würden wir wohl nicht brauchen, während wir die Sache unter die Lupe nahmen.
    Nachdem ich die Tür geöffnet und aus dem Pontiac gestiegen war, folgten Russ und Christy meinem Beispiel. Wir schlossen leise die Wagentüren und bewegten uns langsam vorwärts. Die Luft war drückend und schwer, wie vor einem Sommergewitter. Ich hatte den Wagen so geparkt, dass die Scheinwerfer auf die Dunkelheit hinter dem Schild gerichtet waren, aber es brachte nicht sonderlich viel. Es war, als würden die Strahlen auf eine Mauer treffen. Direkt hinter dem Schild wurden sie von der Schwärze verschluckt.
    Es ist schwierig, etwas zu beschreiben, das unbeschreiblich ist, aber scheiß drauf — ich werde es einfach mal versuchen. Stellt euch vor, ihr sitzt mitten in der Nacht in einem dunklen Zimmer und habt weder Lampen noch Kerzen noch irgendeine andere Lichtquelle. Stellt euch vor, ihr wärt vollkommen von Dunkelheit umgeben. Völlige, undurchdringliche Finsternis. Habt ihr das? Und jetzt stellt euch vor, direkt hinter dieser Dunkelheit wäre
noch eine andere Art von Dunkelheit, die noch finsterer ist als die, die euch umgibt. Sie scheint stofflich zu sein, obwohl ihr genau wisst, dass sie es nicht ist. Sie ist wie Teer oder Tusche. Wenn ihr sie aus dem Augenwinkel betrachtet, scheint sie kleine Wellen zu schlagen, oder vielleicht schimmert sie auch irgendwie. Man kann den Übergang mit bloßem Auge erkennen – die hauchdünne Linie, an der aus normaler Dunkelheit tiefste Schwärze wird.
    So war es, als wir dort mitten auf der Straße standen.
    »Jesus …« Christys Flüstern schien sich einfach aufzulösen, als würde die Dunkelheit Geräusche genauso verschlucken wie das Licht der Scheinwerfer.
    Russ schaltete seine Taschenlampe an, richtete den Strahl auf die undurchdringliche Schwärze und trat einen Schritt vor. Ich packte ihn am Arm und zog ihn zurück.
    »Geh nicht näher ran.«
    »Warum nicht?«
    »Weil das ein Fehler wäre. Spürst du es nicht?«
    Russ starrte mich einen Moment wortlos an, dann schüttelte er meine Hand ab und wandte sich wieder der Grenze zur Dunkelheit zu. Er schwenkte seine Taschenlampe und richtete den Strahl aus verschiedenen Winkeln auf die Schatten. Schließlich sagte er: »Das ist ein ziemlich schräger Mist, Leute.«
    Christy und ich nickten zustimmend. Ich wollte gerade etwas erwidern, als Christy uns signalisierte, ruhig zu sein.
    »Hört mal«, flüsterte sie dann.
    Wir hörten.

    Erst konnte ich gar nichts hören. Aber nach ungefähr dreißig Sekunden bemerkte ich, dass Geräusche aus der Dunkelheit drangen. Am Anfang waren sie leise, aber während wir darauf lauschten, wurden sie langsam lauter — Schlurfen, Knurren, Grunzen und unterdrückte, zitternde Schreie. Es klang alles so, als wäre es weit weg. Einige dieser Geräusche klangen menschlich. Andere nicht. Aber neben diesen Geräuschen hörten wir noch etwas anderes. Die Dunkelheit sprach zu uns. Sie flüsterte mit vertrauten Stimmen, die wir lange nicht mehr gehört hatten. Als wir später unsere Erlebnisse verglichen, stellten wir fest, dass jeder von uns etwas anderes

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