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Am Ende der Straße

Am Ende der Straße

Titel: Am Ende der Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Keene
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anfangen würde zu weinen. Um ihm etwas Privatsphäre zu verschaffen, wollte ich nach Christy sehen – die immer noch mitten auf der Straße kniete –, aber Russ hielt mich zurück.
    »Sieh dir das an.«
    Er richtete den Strahl der Taschenlampe auf seine Füße. Ich sah runter und runzelte überrascht die Stirn. Jemand hatte auf beiden Seiten der gelben Mittellinie eine Reihe von seltsamen Zeichen auf die Straße gesprüht. Ich kniete mich hin und betrachtete sie näher. Die Figuren und Formen ergaben zusammen eine Art Bild, aber ich hatte keine Ahnung, was es darstellen sollte. Es war ungefähr quadratisch. Vielleicht eine Tür? Keine Ahnung, ob offen oder geschlossen. Die rote Farbe war noch frisch — nicht mehr nass, aber glänzend und klar. An den Rändern war eine weiße, kristallartige Substanz verstreut worden, die das gesamte Bild umgab. Ich befeuchtete meinen Finger, drückte ihn hinein und kostete das Zeug. Es war Salz. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das hier mehr war als
ein Graffito. Die Form war zu ausgefeilt. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Da gab es eine Schlange, die sich um ein Kreuz wand, einige Sterne, Halbmonde und etwas, das aussah wie ein Zeichen der örtlichen Freimaurer. Und einige andere Symbole, die nicht zu erkennen waren — zumindest hatte ich sie noch nie gesehen. Über all den seltsamen Zeichen befanden sich Schriftzeichen. Ich vermutete, dass es sich um Latein handelte, konnte aber nicht sicher sein. Die Symbole sahen irgendwie aus wie Runen — wie etwas, das man auf einem Heavy-Metal-Cover aus den Achtzigern finden konnte, einem Klassiker von Iron Maiden, Blue Oyster Cult oder Slayer. Oder in einem Diagramm aus einem dieser Taschenbücher über Zauberei, die es in der Esoterikabteilung gab. Die waren mir immer etwas unheimlich gewesen. Falls es wirklich ein Buch gab, mit dem man Dämonen beschwören oder ähnliche Scheiße anstellen konnte, wäre es dann klug, es massenweise zu drucken und bei Barnes & Noble für sieben Dollar das Stück zu verscherbeln?
    So sah das Bild auf der Straße jedenfalls aus. Bitte denkt daran, ich bin kein Künstler. Wenn das für euch aussieht, als hätte es ein kleines Kind gemalt, liegt das daran, dass ich absolut nicht zeichnen kann. Bisher habe ich nur in der Schule Strichmännchen gemalt und hin und wieder mal primitive Genitalien an Toilettenwänden hinterlassen. Das hier ist nichts Derartiges. Ich habe versucht, es aus dem Gedächtnis aufzuzeichnen, es kann also sein, dass einige Details nicht ganz stimmen. Aber größtenteils sah es ungefähr so aus:

    »Was ist das?«, fragte Russ.
    »Keine Ahnung. Aber was auch immer es ist, es ist ganz schön schräg.«
    Während wir das Graffito untersuchten, tauchte wieder mein Großvater auf.
    » Sorge dafür, dass es verschwindet«, drängte er. Seine Stimme war jetzt viel lauter. Er klang beinahe verzweifelt. »Geh mit einem Vorschlaghammer oder einem Presslufthammer darauf los. Grabe die Erde rund um das Ding um. Wenn du mich liebst, wirst du es tun. Sorge dafür, dass das blöde Gekrakel verschwindet, dann können wir wieder zusammen sein.«
    »Nein. Ich habe doch gesagt, du sollst dich verpissen.«
    »Mit wem redest du?«, wollte Russ wissen.
    »Mit meinem toten Großvater.«
    »Was?«
    »Ich habe es dir doch erzählt. Er ist derjenige, den ich in der Dunkelheit gesehen habe.«
    »Und er ist noch da?«
    Ich nickte.
    Russ seufzte schwer. »Meine Ex ist auch noch da.«
    » Scccchhhhhhhh«, zischte die Dunkelheit. »Du musst es vernichten, Robbie.«
    Ich ignorierte die Stimme, stand auf und ging zu Christy hinüber. Sie weinte immer noch, hatte sich aber nicht von der Stelle gerührt. Als ich näher kam, schaute sie hoch. Schwarze Wimperntusche lief über ihre Wangen. Ich streckte ihr die Hand hin und half ihr auf. Sie wischte sich Dreck und Steinchen von der Jeans. Dann nahm ich sie in die Arme.
    »Du weißt, dass es nicht real ist, nicht wahr? Was auch immer – oder wen auch immer – du da draußen in der Dunkelheit gesehen hast. Es ist nicht real. Das ist nur ein Trick.«
    Schluchzend lehnte sie sich an meine Brust. »Ich weiß. Deshalb heule ich ja. Es war mein Dad, Robbie. Er hat mit mir geredet und so, aber ich weiß, dass er es nicht sein kann.«
    »Ich habe meinen Großvater gesehen.«
    »Werden wir jetzt wahnsinnig?«
    »Nein«, flüsterte ich, »aber vielleicht der Rest der Welt.«
    Die Schatten lachten mit der Stimme meines Großvaters. Laut hallte es über uns hinweg. Dann

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