Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
weiß jeder, denn der hatte es überall rumposaunt. An der Stelle ihrer Freundin wäre Martha vor Scham gestorben, aber Jill hat nur gelacht und gemeint: «Der hat’s grad nötig, den dicken Max zu markieren. Der war fertig, bevor es richtig angefangen hatte.»
Martha versucht sich vorzustellen, sie und Miller lägen im Bett. Nein, das will sie nicht. Wenn sie von ihm träumt, dann endet es nie im Bett, sondern immer mit einem Kuss. Mit einem zarten, behutsamen, zärtlichen Kuss. Nicht dieses Herumgefuhrwerke mit der Zunge, das Vincent auf Jills Geburtstagsparty bei Martha veranstaltet hat. Es hatte Cocktails gegeben, Wodka Cola und Gin Tonic. Sie fühlte sich durch Vincents Aufmerksamkeit geschmeichelt, schließlich ist er der einzige Junge in ihrer Klasse, der nicht auf Jill scharf ist. Sie hatten sich den ganzen Abend unterhalten, und zum ersten Mal hatte sich Martha in der Gegenwart eines Jungen nicht unbehaglich gefühlt. Bis Jill auf die schwachsinnige Idee mit dem Flaschendrehen verfallen war. «Warum machen wir nicht gleich Topfschlagen», hatte Martha gesagt, aber die Jungs waren von dem Vorschlag begeistert. Natürlich. Solange es darum ging, sich eines Kleidungsstückes zu entledigen, war es ja noch okay gewesen, obwohl Martha nicht verstehen konnte, warum sich Jill gleich das T-Shirt ausgezogen hatte, ein Strumpf hätte doch gereicht. Aber wahrscheinlich hatte sie das mit Absicht gemacht, um ihren sexy Push-up zu zeigen.
Und dann sollte der, auf den die Flasche zeigte, jemanden küssen. Martha hätte eins von den Mädchen geküsst, kein Problem. Aber der Flaschenhals zeigte auf Vincent, und Vincent stand auf und ging zu ihr und küsste sie. Sie schmeckte Cola und Wodka und dann seine Zunge. Sie wollte sich losreißen, aber Jill und Simon hielten sie fest. «Sei kein Spielverderber!», zischte Jill ihr zu.
Als Vincent sie endlich losließ, hatte er einen knallroten Kopf. Martha wurde schlecht, ob von dem Kuss oder von dem ungewohnten Alkohol, wusste sie nicht.
Glücklicherweise hatten gleich danach die Sommerferien angefangen, und als sie Vincent am ersten Schultag nach den Ferien wiedersah, hatten beide so getan, als ob nie etwas passiert wäre. Und ein paar Tage später war Alexander Miller aufgetaucht …
Marthas Zimmertür wird aufgerissen, und Poppy stürzt herein.
«Guck mal, Maahta, ich hab ganz viele geschenkt bekommen.»
Ehe Martha es verhindern kann, hat die Kleine einen Beutel mit dem üblichen Kindergeburtstagsmüll auf ihren Schreibtisch gekippt. Schokoladeverschmierte Überraschungseier, eine Kette aus angelutschten Traubenzuckerringen, Plastikfigürchen und ein Herz aus rosa Schaumzucker.
«Für dich», sagt Poppy stolz. «Für meine Schwester.»
Martha greift Poppys Arm und will ihn schütteln, ihr Blick fällt auf die verbundene Hand und sie lässt los.
«Ich bin nicht deine Schwester», sagt sie drohend. «Merk dir das endlich.»
Poppy steckt sich den Daumen in den Mund und betrachtet nachdenklich das Sammelsurium auf dem Tisch, dann nimmt sie eins der Überraschungseier und hält es Martha hin.
Wider Willen muss Martha lachen. «Auch nicht, wenn du mir ein Ü-Ei schenkst.»
Sie stopft den Süßkram zurück in den Beutel, drückt ihn Poppy in die Hand und schiebt sie zur Tür raus.
Zu blöd, dass man ihr Zimmer nicht abschließen kann. Angeblich gibt es keinen Schlüssel, genauso wenig wie fürs Klo, damit Klein Poppy sich nicht aus Versehen einschließt. Bestimmt hat die Glatze die Schlüssel irgendwo versteckt.
Martha versucht weiterzulesen, aber sie kann sich einfach nicht auf das Stück konzentrieren. Sie schlägt das Buch zu und stellt den Computer an. Dann wird sie sich wenigstens die Inhaltsangabe auf Deutsch durchlesen, damit sie morgen weiß, worum es überhaupt geht.
Erzählt wird die Geschichte von Blanche DuBois, einer alternden Südstaatenschönheit, die vor dem Nichts steht. Der Familienbesitz Belle Rêve wurde versteigert, sie hat ihre Anstellung als Lehrerin verloren und damit ihre gesellschaftliche Stellung. Als sie beschließt, bei ihrer Schwester Stella in New Orleans ein neues Leben zu beginnen, bahnt sich eine Katastrophe an …
Als Martha den Computer wieder ausmacht, ist sie zwar nicht viel schlauer, aber eins weiß sie, in der Rolle der Blanche wird Jill großartig sein. Doch wer aus der Theater- AG könnte den brutalen Stanley Kowalski, Stellas Mann, spielen? Höchstens Simon, der hat auch so was leicht Prolliges. In der Theater- AG ist er auch
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