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Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)

Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)

Titel: Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ludwig
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andere als ruhig ist.
    «Ich kann keinen von euch daran hindern, sich den Film in der Videothek auszuleihen und privat anzusehen», sagt er. «Aber ich möchte euch bitten, es nicht zu tun. Jedenfalls nicht bevor ihr alle in euren Rollen sicher seid.»
    «Wer spielt denn nun was?», fragt Nora. Sie geht in die Elfte und ist so dünn, dass man die Adern durch die Haut ihrer Schläfen sieht. Ihr Haar ist glanzlos und strohig. Jill sagt immer, das sei ein typisches Zeichen für Magersucht.
    Außer Nora, Martha, Simon und Jill ist nur noch ein dicklicher Junge namens Florian dabei. Martha kennt ihn aus dem Chor. Bei den Musikabenden darf er immer Solopartien singen, angeblich ist er auch im Chor der Staatsoper. Der weiß wenigstens, was er mal werden will, denkt Martha. Genau wie Jill. Nur sie hat keinen blassen Schimmer, was sie später machen soll. Das Einzige, was sie mit Sicherheit weiß, ist, dass sie mit Miller ans Ende der Welt gehen würde.
    Er schaut sie an, und sie hat wie so oft das Gefühl, dass er ihre Gedanken lesen kann.
    «Mit drei Frauenrollen und zwei Männerrollen kommen wir irgendwie hin», sagt er. «Ich muss das Stück sowieso noch kürzen.»
    Martha meldet sich, merkt aber, wie albern das in dieser Runde wirkt, nimmt den Arm wieder herunter und sagt: «Aber ich spiele nicht mit, ich sollte mich um das Bühnenbild kümmern.»
    Miller wendet sich ihr zu und bedenkt sie mit einem Lächeln, bei dem ihr ganz warm wird.
    «Ich brauche dich aber nicht nur für die Bühne. Ich dachte, dass du die Rolle der Stella übernimmst.»
    «Ich? Ich soll die Stella spielen?», ruft Martha. Jetzt ist ihr vor Schreck ganz kalt. «Niemals! Ich meine … das kann ich nicht!»
    «Und wie du das kannst», sagt Miller immer noch lächelnd.
    «Na toll», schmollt Nora. «Was bleibt denn dann für mich?»
    «Du spielst Eunice, die Nachbarin.»
    Martha erinnert sich, dass das die kleinste Rolle ist. «Wenn ich schon mitspielen muss, dann könnte ich das doch sein.»
    Miller winkt ungeduldig ab. «Vielleicht sollten wir erst einmal über die einzelnen Figuren sprechen, dann wird auch klar, wer wer ist.» Miller nimmt das Textbuch in die Hand und blättert darin. «Jill, wie würdest du Blanche charakterisieren?»
    Jill setzt sich aufrecht hin. «Blanche DuBois ist so um die dreißig, tut aber so, als ob sie jünger ist. Sie war Englischlehrerin an einer Highschool hatte da aber ein Verhältnis mit einem Schüler und wurde entlassen.»
    «Hört! Hört!», wirft Simon ein.
    «Blanche und ihre Schwester Stella gehörten zum Südstaaten-Adel, der Familiensitz Belle Rêve – das heißt Schöner Traum, für alle die kein Französisch mögen», sagt sie zu Simon gewandt, der grinst anzüglich.
    «Also das Gut oder was das war, ist versteigert worden, Blanche ist pleite und fährt nach New Orleans, wo Stella mit dem Automechaniker Stanley Kowalski verheiratet ist. Natürlich kann sie diesen Stanley nicht leiden, weil der total ungebildet und prollig ist.»
    «Danke, das reicht erst einmal, jetzt bist du dran, Simon, was fällt dir zu Stanley ein?»
    Simon streckt die Beine aus und verschränkt die Arme vor der Brust. «Na, das ist so ’n richtiger Kerl. Immer ölverschmiert, pokert mit seinen Freunden und flucht. Und ab und zu nimmt er seine Frau, die Stella, so richtig ran!»
    «Er schlägt sie», murmelt Martha.
    «Bitte, Martha, erzähl uns was über Stella.» Miller beugt sich gespannt vor, als wolle er kein Wort von ihr verpassen.
    Martha versucht sich zu erinnern, was in der Inhaltsangabe gestanden hatte.
    «Stella ist Blanches jüngere Schwester und sie ist … sie ist sehr sanft und nachgiebig und lässt sich von ihrem Mann alles gefallen.»
    «Warum?», fragt Miller.
    «Weil sie von ihm abhängig ist.»
    «Inwiefern abhängig?»
    Martha versteht nicht, worauf er hinauswill.
    «Sexuell abhängig», sagt Jill und betrachtet interessiert ihre Fingernägel.
    «Ganz genau», sagt Miller.
    «Und als dann Blanche auftaucht, weiß sie nicht, zu wem sie halten soll.»
    «Sehr gut, jetzt fehlen uns nur noch Mitch und Eunice. Nora, möchtest du uns was zu Eunice sagen?»
    Nora zieht die Ärmel ihres Pullis über ihre knochigen Handgelenke. «Die ist doch bloß die Nachbarin.»
    «Nein, Nora, sie ist viel mehr, sie ist Stellas Freundin und führt genau das Unterschichtleben, in das Stella allmählich abrutscht. Diese Rolle ist für das Stück ganz wichtig.»
    Nora zuckt mit den Schultern. «Von mir aus.»
    Sie ist offensichtlich

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