Am Ende der Welten - 16
Gegenteil anführen. Ihr habt mit angemessenen und knappen Worten mehrere Tausend Jahre der Vorhersage zusammengefasst.«
»Diese alten Schriften sind nicht immer leicht verständlich«, gab Ann zu bedenken. »Das geschriebene Wort kann recht doppeldeutig sein. Prophezeiungen sind kein Thema, das sich für Unerfahrene eignet. Dem ungeübten Blick mag es so scheinen, als …« »Ich hoffe aufrichtig, Prälatin, Euer Urteil beruht auf einer oberflächlichen Einschätzung meiner äußeren Erscheinung und nicht meiner Fähigkeiten.«
»Ich wollte lediglich …«, begann Ann. Shota machte eine wegwerfende Handbewegung, wandte sich ab und richtete den Blick auf Richard, als wäre er der Einzige im Raum. Sie sprach, als wären ihre Worte ausschließlich an ihn gerichtet. »Womöglich sind wir die Letzten, denen ein Leben in Freiheit vergönnt ist. Es könnte sein, dass dies für alle Zeiten das Ende der besten aller Möglichkeiten ist, des Strebens nach Werten und der Chance für jeden von uns, aufzusteigen und nach Höherem zu stre ben. Nehmen die Ereignisse keinen anderen Verlauf, werden wir alsbald Zeugen der schlechtesten aller Möglichkeiten sein, eines Zeitalters, in dem die Menschheit - aus Furcht, ein jeder könnte sich erdreisten, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und eigene Ziele zu verfolgen - gezwungen wird, das von der Imperialen Ordnung glorifizierte Dasein unwissender Wilder zu führen.« »Das wissen wir doch alle längst«, sagte Richard, die Hände neben dem Körper zu Fäusten geballt. »Begreift Ihr nicht, wie hart wir dafür gekämpft haben, genau das zu verhindern? Macht Ihr Euch überhaupt eine Vorstellung, welche Mühen wir alle auf uns genommen haben? Was glaubt Ihr eigentlich, wofür ich kämpfe?« »Ich weiß es nicht, Richard. Du behauptest, absolut entschlossen zu sein, und doch ist es dir nicht gelungen, den Kurs der Geschehnisse zu beeinflussen oder die Horden der Imperialen Ordnung aufzuhalten. Du gibst vor zu verstehen, und doch sind die Eindringlinge noch immer auf dem Vormarsch und unterjochen mit jedem Tag, der verstreicht, mehr Menschen. Aber selbst darum geht es nicht. Es geht um die Zukunft. Denn auch in Zukunft wirst du uns im Stich lassen.« Richard meinte seinen Ohren nicht zu trauen. Er war nicht nur wütend, er war entsetzt, dass Shota sich zu einer solchen Äußerung hinreißen ließ. Es war, als wäre alles, was er getan hatte, jedes Opfer, das er gebracht, jede Mühe, die er auf sich geladen hatte, für sie bedeutungslos, und das nicht nur in diesem Augenblick, sondern auch in Zukunft.
»Seid Ihr gekommen, um mir Eure Prophezeiung meines Scheiterns mitzuteilen?«
»Nein. Ich bin gekommen, um dir mitzuteilen, dass wir, wenn du nichts änderst, alle nach der augenblicklichen Lage der Dinge in diesem Kampf scheitern werden.«
Shota wandte sich von Richard ab und wies mit gestrecktem Arm auf Nicci. »Ihr habt ihm das dumpfe, abgestumpfte Ende gezeigt, das bestenfalls aus den von der Imperialen Ordnung vertretenen Glaubensüberzeugungen resultieren kann. Ihr habt ihm das freudlose Dasein gezeigt, das einzige, das unter ihren Lehren erlaubt sein wird, die besagen, dass der Wert des Lebens sich einzig nach der Größe des Opfers bemisst, das man erbringt, und sich der Sinn des Lebens in einem jenseitigen Ziel erschöpft: der leblosen Ewigkeit in einer anderen Welt.
Darin habt Ihr uns allen einen großen Dienst erwiesen, und dafür gebührt Euch unser Dank. Ihr habt Eure Rolle als Richards Ausbilderin wahrhaftig erfüllt, wenn auch nicht so, wie Ihr erwartet hattet. Aber auch das ist noch nicht alles.« Richard verstand nicht recht, wie man seine Gefangenschaft - während der er gezwungen war, ein entbehrungsreiches Leben unten in der Alten Welt zu führen - als Dienst betrachten konnte. Um die hoffnungslose Sinnlosigkeit eines Lebens unter der Herrschaft der Imperialen Ordnung zu begreifen, hätte er das alles nicht am eigenen Leib erfahren müssen. Er bestritt nicht ein einziges Wort von Shotas Ausführungen, was ihnen allen im Falle einer Niederlage blühte, trotzdem ärgerte es ihn, dass sie offenbar glaubte, er müsse sich das alles noch einmal anhören, so als hätte er noch nicht begriffen, wofür sie kämpften, und wäre infolgedessen auf dem besten Wege zu scheitern, statt sich mit seiner ganzen Kraft ihrer Sache anzunehmen. Wie es passiert war, hätte er nicht zu sagen vermocht, denn er hatte nicht gesehen, dass sie sich bewegt hätte, aber plötzlich stand Shota
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