Am Ende der Welten - 16
Gesicht zu sehen. Nur wenige Menschen besaßen diesen Mut. Richard fragte sich, ob sie ebenfalls glaubte, er sei, aus irrationalen und eigensinnigen Motiven, gleichgültig gegenüber der Invasion der Imperialen Ordnung. Er fragte sich, ob auch sie glaubte, er versäume es, entscheidend zum Schutz unschuldiger Menschen vor diesem grauenhaften Leid beizutragen. Er hoffte inständig, dass dem nicht so war. Es gab Augenblicke, da schien Niccis Unterstützung so ziemlich das Einzige, was ihm die Kraft zum Weitermachen gab. Vielleicht erwartete sie ja von ihm, die Suche nach Kahlan aufzugeben und sich stattdessen ganz auf die Errettung von sehr viel mehr als nur diesem einen Menschenleben zu konzentrieren, wie kostbar es auch sein mochte. Er unterdrückte diese quälende Angst; er wüsste, Kahlan hätte dasselbe von ihm verlangt. Sosehr sie ihn liebte - damals, als sie noch wüsste, wer sie war -, Kahlan hätte niemals gewollt, dass er sich auf ihre Fährte setzte, wenn dies zu Lasten des Versuchs gegangen wäre, eine viel größere Zahl von Menschen aus tödlicher Gefahr zu retten. Dann plötzlich tat der Gedanke, der ihm gerade durch den Sinn gegangen war, seine Wirkung: damals, als sie noch wüsste, wer sie war, wer er war. Wie konnte Kahlan ihn noch lieben, wenn sie weder wüsste, wer sie war, noch wer er war? Die Knie drohten ihm nachzugeben.
»Genau so habe ich das auch gesehen«, sagte Jebra und öffnete, als Zedd seine tröstlichen Hände von ihr nahm, wie beim Erwachen ihre Augen. »Dass ich mein Bestes gegeben hatte, um ihr die Wahrheit vor Augen zu führen. Nur mochte ich nicht in diesem Verlies hocken. Wirklich nicht.«
»Und was geschah dann?« Zedd kratzte sich seine hohle Wange. »Wie lange habt Ihr dort unten in dem Verlies gesessen?« »Ich verlor den Überblick, welcher Tag es war. Es gab keine Fenster, daher kam mir nach einer Weile jedes Gefühl dafür abhanden, ob es Tag war oder Nacht. Ich bekam den Wechsel der Jahreszeiten nicht mit, wusste aber immerhin, ich hatte lange genug dort eingesessen, dass sie gekommen und wieder gegangen waren. Nach und nach verlor ich alle Hoffnung.
Ich bekam zu essen - nie genug, um satt zu werden, aber gerade ausreichend, um nicht zu verhungern. Von Zeit zu Zeit - mitunter in sehr großen Abständen - ließ man in dem schäbigen Hauptraum jenseits der Eisentür eine Kerze brennen. Die Wachen verhielten sich mir gegenüber nicht vorsätzlich grausam, trotzdem war es fürchterlich beängstigend, in der Dunkelheit dieser winzigen gemauerten Zelle eingesperrt zu sein. Ich war klug genug, mich nicht zu beklagen. Wenn die anderen Gefangenen sich beschwerten oder Krach schlugen, warnte man sie, still zu sein, und gelegentlich, wenn ein Gefangener sich nicht an diese Anordnung hielt, konnte ich hören, wie die Wachen ihre Drohungen wahr machten. Manchmal kam es vor, dass die Gefangenen nur kurz dort blieben, bis man sie zu ihrer Hinrichtung abführte. Von Zeit zu Zeit wurden neue Gefangene hereingebracht. Nach dem bescheidenen Ausblick, den mir mein winziges Guckloch gewährte, waren die Männer, die man brachte, ein verrohter und gefährlicher Haufen. Manchmal riss mich ihr abstoßendes Gefluche in tiefster Dunkelheit aus dem Schlaf, sodass ich beim Einschlummern sofort Albträume bekam. Die ganze Zeit über verharrte ich in Angst, eine Vision könnte mich heimsuchen, die mir mein endgültiges Schicksal vor Augen führte, aber solche Visionen stellten sich nie ein. Allerdings brauchte ich sie auch gar nicht, um mir auszumalen, was die Zukunft für mich bereithielt. Ich wusste, Cyrilla würde es mir zum Vorwurf machen, wenn die Invasoren schließlich näher rückten. Ich hatte mein ganzes Leben lang Visionen. Nicht selten geben die Menschen, denen nicht gefällt, was ihnen widerfahren wird, mir dir Schuld daran, weil ich ihnen erklärte, was ich sehe. Statt diese Information zu benutzen, um etwas zu verändern, machen sie es sich leicht und lassen ihren Unmut an mir aus. Oftmals glaubten sie, ich hätte ihren Ärger erst verursacht, indem ich ihnen von meinen Visionen erzählte, so als wäre es meine Entscheidung, was ich sehe, und würde durch meine Böswilligkeit erst Wirklichkeit. Das Eingeschlossensein in diese finstere Zelle war mir nahezu unerträglich, und doch konnte ich nichts anderes tun, als es zu erdulden. In den endlosen Stunden, die ich dort hockte, begann ich zu begreifen, wieso Cyrilla damals in der Grube den Verstand verloren hatte. Wenigstens musste ich
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