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Am Ende der Wildnis

Am Ende der Wildnis

Titel: Am Ende der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Vaillant
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Sorgerecht für die Kinder zugestanden. Anfang 1993 fühlte sich Hadwin zunehmend frustriert und nicht mehr in der Lage, die psychischen Belastungen zu ertragen, denen er in Kamloops ausgesetzt war. Daher machte er sich auf eine ausgedehnte Hedschra Richtung Norden durch Yukon und Alaska, wo er Anfang Juni auf einer abgelegenen Insel Zuflucht suchte. Einen Monat später wurde Hadwin an der Grenze zu den Vereinigten Staaten angehalten, und man fand dreitausend Injektionsnadeln im Kofferraum seines Wagens. Er redete sich beim Zoll heraus und fuhr weiter nach Washington, D. C ., wo er sich als Fürsprecher des einmaligen Spritzengebrauchs und Advokat von Safe Sex vorstellte und Spritzen und Kondome an jeden verteilte, der sie wollte. Er spendete zudem Tausende Dollar an eine städ tische Volksküche mit Obdachlosenheim. Im Juli, als er noch zweitausend Spritzen hatte, fuhr er weiter nach Miami und bestieg dort ein Flugzeug nach Moskau. Anschließend reiste er weiter nach Osten und spendete unterwegs die Spritzen an Kinderkrankenhäuser. In Irkutsk, Sibirien, wurde er von der Polizei festgenommen, schaffte es aber offenbar, das Verhör dank seiner Raffinesse zu überstehen, und man ließ ihn ohne weitere Schwierigkeiten gehen. Hadwin war jedoch nicht einfach auf einer Goodwill-Tour, er suchte auch Arbeit: Sibirien war einer der wenigen Orte in der nördlichen Hemisphäre, deren Wälder mit denen British Columbias mithalten konnten.
    Als Hadwin nach Kamloops zurückkehrte, erschraken die Menschen, die ihn kannten, bei seinem Anblick. Das Straßentheaterkostüm, das er auf seinen Reisen trug (Laufshorts, Reitpeitsche, Stiefel mit Sporen und eine Baseballkappe, die er mit Spritzen und Kondomen geschmückt hatte) verleitete dazu, an seinem Geisteszustand zu zweifeln. Seine offenbar durch Stress hervorgerufene Paranoia färbte allmählich auf die Realität ab, denn er fand sich in Situationen wieder, in denen es Mitmenschen tatsächlich auf ihn abgesehen hatten. Im Oktober desselben Jahres und überdies am selben Tag, als ihm die Papiere zugestellt wurden, in denen die Einschränkung des Besuchsrechts bei seinen Kindern festgeschrieben war, geriet er in ein Wettrennen mit dem Fahrer eines Sattelschleppers auf dem Trans-Canada Highway. Der Streit artete zu einem fast komischen Schauspiel aus, in dem die riesige Peterbilt-Zugmaschine Hadwin in seinem kleinen Honda Civic verfolgte. Der Lastwagenfahrer wollte nicht aufgeben und klebte an Hadwins hinterer Stoßstange. Die Verfolgungsjagd endete vor Margarets Haus, wo beide Männer aus ihren Fahrzeugen sprangen und in eine wüste Streiterei verfielen. Der Lastwagenfahrer war zehn Zentimeter größer und fünfundzwanzig Kilo schwerer als Hadwin. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt, und eine Schlägerei schien unausweichlich. Hadwin rannte die Einfahrt hinauf, schnappte sich ein Kantholz und schrie den Fahrer an, er solle »sofort von hier verschwinden!« Dann versetzte er ihm einen Schlag auf den Kopf. Der Mann brach zusammen, und Hadwin half ihm umgehend wieder auf die Beine.
    Seine Frau und der Lastwagenfahrer winkten ihm nach, als Hadwin zur Polizeiwache fuhr, um sich zu stellen. Es war seine allererste Begegnung mit der kanadischen Polizei.
    Man wies Hadwin zu einer einmonatigen Untersuchung in eine forensisch-psychiatrische Klinik ein, wo er von mehreren Ärzten ausführlich befragt wurde. Obwohl sie alle Anzeichen für etwas feststellten, das einer der Psychiater »paranoide Reaktion« nannte, konnten sie sich auf keine andere Diagnose einigen als die, dass er geistig kompetent und prozessfähig war. Man verschrieb ihm aber ein antipsychotisches Medikament, das er in niedriger Dosis einnehmen sollte, und sein Zustand verbesserte sich dramatisch. Weil jedoch nicht bekannt ist, wie oft er das Medikament einnahm oder ob er es überhaupt tat, lässt sich nur schwer sagen, ob es das Medikament war oder Hadwins innerer Zyklus, der für die Verbesserung seines Zustands verantwortlich war. Innerhalb von zwei Monaten bekam er einen Job bei einer lokalen Sägemühle, wo er als Furnierschäler für Sperrholz arbeitete, und er reichte eine zwanzig Seiten lange Einschätzung für eine beabsichtigte Holzabfuhrstraße ein. Hadwin arbeitete allein an dem Projekt, und als sein Boss Pat McAfee ihn fragte, ob er für den Fall eines Unglücks eine Kontaktperson habe, erwiderte Hadwin: »Wenn ich nicht allein aus dem Busch herauskommen kann, will ich gleich drinbleiben.«
    »Er war sehr stolz

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