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Am Ende der Wildnis

Am Ende der Wildnis

Titel: Am Ende der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Vaillant
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Weg zu einem Pow-Wow, einem Volksfest, durch die Stadt, und Hadwin brachte sie in seiner Wohnung unter. Gray war Mitte siebzig und hatte innerhalb eines Jahres ihren Ehemann und ihre Mutter verloren. Sie war nachsichtig und gutherzig, und sie fühlte sich einsam. Sie erinnerte Hadwin an seine Lieblingstante, und er mochte sie auf Anhieb. Gray besaß ein Wohnmobil, und darin reisten die beiden bis zum Salmon Glacier, einem riesigen eisblauen Gletscher, der bis zum Quellfluss des Portland Canal reicht, einem hundert fünfzig Kilometer langen Fjord an der Grenze zwischen British Columbia und Alaska. Trotz ihrer extrem unterschiedlichen Herkunft hatten sie viel gemeinsam. Beide waren in jungen Jahren von ihren Familien getrennt und auf Schulen geschickt worden, die sie hassten: Gray in eine Residential School für Ureinwohner in Alberta und Hadwin in ein Internat nach britischem Vorbild in Vancouver. Körperliche Misshandlungen waren an beiden Lehranstalten gang und gäbe. Die von diesen frühen Abschiebungen hinterlassenen Wunden verhalfen den beiden zu einem gegenseitigen Verständnis, wie es bei einer Verbindung zweier so konträrer Menschen nur selten zu finden ist. Auf ihren gemeinsamen Reisen nahm sich Hadwin oft die Zeit, zu laufen und zu schwimmen, und abends kochte er dann für sie beide. Sie spielten Kribbage und Rommé und lachten viel. Es dauerte nicht lange, da war Gray zu Hadwins engster Freundin und Vertrauten geworden. Gray war bei Hadwin, als er seine erste Reise auf die Queen Charlotte Islands machte.
    Die Queen Charlottes, so gut wie vergessen seit dem Zusammenbruch des Otterpelzhandels, waren während des Ersten Weltkriegs wiederentdeckt worden. Diesmal waren die Fremden nicht wegen der Tierfelle, wegen Fisch oder Gold gekommen, diesmal ging es um Flugzeuge. An Orten wie Olympic Peninsula im Staat Washington, in Clayoquot Sound auf Vancouver Island und im Yakoun Valley wuchsen sie buchstäblich auf den Bäumen, und zwar ganz besonders auf der großen alten Sitka-Fichte. Vor dem Krieg war diese von geringem Wert gewesen und häufig zugunsten zweier anderer Arten im Nordwesten beiseitegelassen worden: der Douglas-Fichte (auch als Geldbaum bezeichnet), die im Hausbau vorrangig für das Rahmenwerk, als Bodenbelag und Leisten zur Verwendung kam, und die Western Red Cedar, die wegen ihrer wasserabweisenden Eigenschaft für Schindeln, Verkleidung und Zaunpfähle sehr gefragt war. Eine Sitka-Fichte wurde höchstens dann gefällt, wenn sie einer Cedar im Weg stand, und wenn sie einmal lag, ließ man sie verrotten oder verwendete sie, wenn es gerade passte, zur Papierherstellung.
    Als jedoch die ersten Flugzeugkonstrukteure diesen Baum entdeckten, änderte sich all das: Die bescheidene, aber riesige Sitka-Fichte wurde über Nacht geadelt. Ihr leichtes Holz zeichnet sich durch eine seltene Verbindung von Festigkeit und Flexibilität aus, und die ist ideal für die Herstellung von Flugzeugflügeln und -rümpfen. In Streifen zersägt und schichtgepresst werden auch hervorragende Propeller daraus. Es bietet den zusätzlichen Vorteil, nicht zu splittern, wenn es von Kugeln getroffen wird – eine ungewöhnliche Eigenschaft bei härterem Holz. Aus diesen Gründen wurde das beste Sitka-Fichtenholz auch »Flugzeugfichte« genannt, und die Charlottes wiesen eine Baumdichte auf, wie sie kaum sonst an der Küste zu finden war. Während der Kriegsjahre waren die Bäume so begehrt, dass es ihretwegen zu einer außergewöhnlichen Mobilisierung militärischer Kräfte kam. Von 1917 an wurden mehr als dreißigtausend amerikanische Soldaten aus der eiligst gegründeten Spruce Production Division zusammen mit Tausenden kanadischen Holzfällern, die vom britischen Imperial Munitions Board unter Vertrag genommen worden waren, in die Küstenwälder geschickt, um zu Kriegszwecken Bäume zu fällen und zu zersägen. Ein Großteil des Holzes, das von diesen »Fichtensoldaten« geerntet wurde, diente dem Bau französischer, englischer und italienischer Kriegsflugzeuge. *******
    Als die Deutschen keine zwei Jahre später geschlagen waren, hatte man Fichten in einer Menge abgeholzt, die andert halb Mal um die Erde gereicht hätte – ungefähr zweihundert Millionen board feet (1000 board feet = ca. 1 Kubikmeter Holz). Im Tenth Annual Report der Commission on Conversation von 1919 ist bereits ein ernüchternder Ausblick auf die Zukunft der West Coast versteckt:
    Der Vorrat an Sitka-Fichte, die sich zum Flugzeugbau eignet, ist äußerst

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