Am Ende der Wildnis
Bloedel, zu jener Zeit Kanadas größte Holzfirma, betrieb die Haida Monarch sowie die Haida Brave , und beide Schiffe fuhren routinemäßig durch den Masset Sound, wenn sie nach Juskatla Inlet und zum Sortierlager wollten, wohin viele der Baumstämme aus dem Yakoun Valley zum Weitertransport gebracht wurden. Während die Schiffe für den Transport der Otterpelze im 19. Jahrhundert sich noch in einem einleuchtenden Verhältnis zu den Häusern und Kanus zu befinden schienen, die an den Dorfstränden lagen, stellen diese modernen Schiffe alles in den Schatten. Beide sind annähernd einhundertzwanzig Meter lang und scheinen nur ganz knapp die schmale Meerenge des Masset Sound passieren zu können. Vom Strand oder Boot aus sieht ein Holzfrachter kaum wie ein Schiff aus, sondern eher wie eine schwimmende Wand aus Stahl. Mehr als dreißig Meter über dem Wasser ragen Fünfzigtonnenkräne auf, die buchstäblich Wälder von Holzfracht laden. Zusätzlich zu der Instinktlosigkeit, mit der ihre Namen ausgewählt wurden, vermittelt auch die unheilvolle Farbgebung der Schiffe, dass sie scheinbar nicht von dieser Welt sind: Sie sind matt grau getarnt wie ein Stealth Bomber, als sollten sie nicht entdeckt werden. Aber es wird das Gegenteil erreicht: Wenn sie aus dem Nebel auftauchen und unaufhaltsam durch den seladongrauen Nordpazifik pflügen, bringen sie die geballte Macht der Finsternis mit. Wenn man sieht, wie sie sich nähern, spürt man, dass sie unmöglich Gutes verheißen können. Und doch sind diese seetüchtigen Ressourcenspediteure, be laden mit Stapeln von wertvollstem Holz, ebenso Teil des Haida-Vermächtnisses wie die Nor’westmen. Jahrzehnte lang und bis zu zweimal die Woche haben die Bewohner von Masset mit ansehen müssen, wie ihr väterliches Erbe auf Schiffe geladen und fortgebracht wurde. Obwohl achtzig Prozent der Holzfällerjobs an Leute von außerhalb vergeben werden und fünfundneunzig Prozent des Holzes nach Süden verschifft wird, haben manche von ihnen dennoch ihren Nutzen davon gehabt. Wie Wesley Pearson es ausdrückte: »Wenn du auf den Charlottes geboren bist, wirst du entweder Fischer oder Holzfäller.« Das sind schließlich die einzigen Jobs, die hier zu haben sind, und so manche Haida finden sich in einer seltsam vertrauten Zwickmühle wieder: Leiste der Ausplünderung deiner historischen Heimat Vorschub oder bleib zurück.
»Als jungem Mann gefiel mir die Holzfällerei«, erinnerte sich Pearson. »Ich hatte nirgends auch nur annähernd so viel Geld verdient wie beim Holzfällen, ich hatte ja keine Schulbildung. Ich kann nicht sagen, dass ich gegen sie bin, denn zu viele Leute sind darauf angewiesen. Aber wie soll man sie kontrollieren? Die großen Unternehmen bekommen doch sowieso alles, was sie wollen.«
Dieses Problem hatte auch Hadwin beschäftigt, und wohin er auch ging, es ließ ihn nicht los. Im September 1996, kurz nach dem Ereignis, das als Haida-Brave -Blockade bekannt wurde, besuchte Hadwin Haida Gwaii zum ersten Mal, und dieser Besuch ließ ihn in einen Strudel von widersprüchlichen Hoffnungen, Träumen und ehrgeizigen Be strebungen taumeln. Die goldene Fichte und ihre Um gebung verkörpern den Konflikt von Haida Gwaii, einem wahren Regenwaldparadies, bevölkert von gigantischen Bäumen und echten Ureinwohnern, und seinem vor der Küste gelegenen Holzspeicher mit vertikalem Lagersystem. Man hat British Columbia als Bananenrepublik bezeichnet, nur mit größeren Bananen, und nirgendwo in der gesamten Provinz ist das eklatanter der Fall als hier. Die Inseln sind ein international anerkanntes Aushängeschild sowohl für Holzfäller als auch für Umweltschützer und Aktivisten für die Rechte der Ureinwohner. Die goldene Fichte geriet zwischen die Fronten.
Einen Monat zuvor, am 1. August, hatten Aktivisten von Greenpeace gegen MacMillan Bloedels andauernde Abholzung des Regenwalds an der Küste protestiert und waren mit Feuerwehrschläuchen vom Deck der Haida Brave gespritzt worden, die in Juskatla Inlet im Dock lag. Am späte ren Nachmittag wurde das mit Stämmen voll beladene Frachtschiff auf dem Weg durch den Masset Sound von ungefähr fünfzig Haida in Kriegskanus und Motorbooten abgefangen und zur Umkehr gezwungen. Es war nicht das erste Mal: Mit Unterstützung von Umweltschutzgruppen hatten die Haida während der 1970er und 1980er eine Reihe von höchst erfolgreichen Kampagnen gegen die Abholzung geführt. Nicht nur machten sie den Archipel zum wichtigsten Schauplatz der Kriege
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