Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
es zuvor mit anderen Arbeiten auch getan hat, er wäre Darwin mit der Veröffentlichung seiner Theorie zum Wandel der Arten zuvorgekommen und würde – im Alleingang – als der Begründer der Evolutionstheorie gelten.
Vielleicht auch wegen dieser zentralen Bedeutung ist um Wallace’ Manuskript und Brief eine geradezu leidenschaftliche Debatte entbrannt, deren Wogen hoch schlagen. Während die einen beharrlich versuchen, Ungereimtheiten und offene Fragen zu verdrängen oder zu ignorieren, tragen andere über Jahrzehnte fleißig die sich verdichtenden Hinweise zusammen, die zeigen, dass hier etwas eigenartig gelaufen ist. Wieder andere vermuten, Darwin könnte wichtige Teile seiner eigenen Theorie von Wallace gestohlen haben, und bezichtigen ihn des geistigen Diebstahls. Im Zentrum der Untersuchung stehen zwei Dinge, denen wir im Einzelnen nachgehen müssen: Zum einen sind es – so kurios das erscheinen mag – die Postlaufzeiten für Briefe aus dem indo-australischen Archipel nach England. Und zwar nicht nur jenes entscheidenden Briefes, den Wallace im März 1858 mit dem Manuskript auf die Reise schickt, sondern auch jener Briefe, die Darwin an Wallace schreibt. Der Teufel steckt im Detail und hier eben in den Fahrplänen der Nederlandsch-Indische Stoomboot Maatschappij, die für die Post von und zu den Inseln im Archipel verantwortlich ist.
Zum anderen hängt die Frage, ob Darwin wirklich von Wallace profitiert oder gar abgeschrieben hat, natürlich davon ab, was sie wann in ihren Aufsätzen tatsächlich geschrieben haben und wann sie was hinzugefügt oder geändert haben. Auch hier steckt der Teufel im Detail, diesmal in Form von andersfarbigem Schreibpapier, das Darwin nutzt, um seitenlange Ergänzungen in seinem Buchmanuskript vorzunehmen, just zu einer kritischen Zeit, in der Wallace’ Aufsatz bereits bei ihm eingetroffen sein könnte, er diesen aber noch nicht an Lyell weitergegeben hat. Um allerdings die Vorgänge vollständig verstehen zu können, müssen wir uns nicht nur Postfahrpläne und Buchmanuskripte ansehen, sondern zuvor noch kurz einen Blick auf die Vorgeschichte der Korrespondenz zwischen Wallace und Darwin werfen. Denn dass Wallace seinen so wichtigen Aufsatz von Ternate aus an Darwin schickt, ist ebenso folgerichtig, wie es eine Legende ist, dass Darwin durch diesen Aufsatz überrascht wurde. Vielmehr dürfte er seit beinahe zwei Jahren kommen gesehen haben, was dann tatsächlich passiert; und inzwischen ist er dann durchaus vorbereitet. Dass Wallace ihn dennoch auf dem falschen Fuß erwischt, gehört zu den besonderen Volten in dieser Geschichte.
Der Dialog beginnt – Darwins erster Brief, Mai 1857: Über die Gründe, warum Wallace überhaupt zum ersten Mal an Darwin schreibt, können wir nur Vermutungen anstellen. Dazu müssen wir in den Herbst 1856 zurückgehen, als Wallace noch auf Celebes ist. Ein Eintrag in seinem Notizbuch zeigt, dass er in dieser Zeit Darwins Reisebericht von der »Beagle« nochmals liest. Über Samuel Stevens oder gar über Sir James Brooke, den Raja von Borneo, mit dem Darwin ebenfalls in Kontakt steht, hat Wallace zuvor erfahren, dass Darwin für seine Zuchtstudien auf der Suche nach Geflügel und anderen Haustieren aus exotischen Regionen ist. Von Lombok aus schickt Wallace daraufhin Hühner an Stevens mit der Bitte, diese an Darwin weiterzureichen. Ein erster Kontakt, der Wallace ermutigt, sich in einem Brief direkt an Darwin zu wenden. Ihn quält eine große Frage.
Was Wallace im Oktober 1856 an Darwin schreibt, wissen wir nicht genau. Auch dieser Brief ist eigenartigerweise verloren. Doch wissen wir aus Darwins Antwort, die erhalten und publiziert ist, nicht nur von seiner Existenz, sondern auch von einigem, was Wallace am Herzen liegt. Erstaunlich ist an diesem ersten Brief nicht nur, dass er verschollen ist; sondern auch, wie ungewöhnlich lange er angeblich unterwegs ist. Geschrieben am 10. Oktober 1856 und von Makassar auf die Reise nach England geschickt, hätte die Post sechs Monate gebraucht, wenn stimmt, was Darwin schreibt. Der antwortet Wallace erst am 1. Mai 1857 und dankt ihm darin für den Erhalt dieses Briefes, der angeblich erst wenige Tage zuvor (demnach also Ende April) angekommen sei.
Dies aber könnte bereits eine falsche Aussage sein, unterstellen einige, die sich kritisch mit den Vorgängen um Wallace und Darwin auseinandergesetzt haben. Der Brief hätte bei ordnungsgemäß funktionierendem Postsystem – und es ist perfekt
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