Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
Zweifel. Doch es sind die genauen Begleitumstände, für die sich Wissenschaftshistoriker interessieren, weil allein sie Aufschluss über die tatsächliche Veranlassung und die Ursache der Vorgänge geben. Im Fall von Wallace’ vermeintlichem Ternate-Aufsatz indes bleiben sie vage, entgegen oder gerade wegen der vielfach kolportierten Fieber-Folklore.
Diese fußt allein auf Wallace’ in der Retrospektive entstandenen Berichten. Wir wissen von insgesamt sieben Passagen zur Entdeckung seines generellen Prinzips, die erst mit dem Abstand von beinahe einem halben Jahrhundert von ihm selbst an unterschiedlichen Stellen publiziert wurden. Sie geben sämtlich jene romantische Darstellung, die er uns unmittelbar vor Ort und tatsächlich authentisch schuldig bleibt. In fünf dieser jeweils recht ähnlichen, wenn nicht sogar wortwörtlich identischen Passagen, die er zwischen 1891 und 1905 veröffentlicht, schildert er, dass er sein während eines Fieberanfalls »in nur drei Tagen« entstandenes Manuskript an Darwin schickt, und zwar »mit der nächsten Post«, die »in ein oder zwei Tagen abgeht«.
Es gibt einen einzigen, zugleich kuriosen Beleg, der zwar ebenfalls erst Jahre nach Wallace’ Rückkehr von der Reise entsteht, dem aber eine gewisse Authentizität zukommt und der die späteren Lebenserinnerungen gleichsam verbürgt. Wallace kommentiert in einem Brief vom 22. November 1869 an den Dresdener Zoologen Adolf Bernhard Meyer die Entstehung seiner wichtigsten Arbeiten, als dieser für die deutschsprachige Ausgabe der Darwin-Wallace-Aufsätze über die Entstehung der Arten, die im Jahr darauf erscheint, eine Skizze von deren Leben beifügen will und dazu Wallace um eine knappe Darstellung in eigenen Worten bittet. »Sobald der Fieberanfall vorüber war, setzte ich mich hin, verfasste den Aufsatz, schrieb ihn ab und schickte ihn mit der nächsten Post an Mr Darwin.«
Meyer interessiert dieser Umstand, wie Wallace auf den Einfall mit der natürlichen Selektion kam, immerhin ausreichend genug, um in dem angesehenen Fachjournal »Nature« im Jahre 1895 eine entsprechende Notiz darüber zu platzieren. Und aus der Feder von Wallace selbst findet sich dort der Zusatz, dass sein besagter Brief »wohl die früheste Erwähnung dazu ist und im Wesentlichen mit meinen späteren Darstellungen übereinstimmt«. Was Wallace hier zeigt: Auch Wissenschaftler, jeder zu seiner Zeit, arbeiten an ihrem Image.
Per Postdampfer nach England – Lücken in der Beweisführung: Glauben wir Wallace’ Tagebucheintrag, so ist er am 1. März 1858 wieder in Ternate. Bevor der Postdampfer am 9. März abgeht, hat er noch Zeit; ausreichend Zeit, sein Manuskript abzuschreiben, wie er im Brief an Meyer bemerkt (obgleich es weder diese Abschrift noch das ursprüngliche Manuskript heute noch gibt). Und es ist auch Zeit genug, einen Begleitbrief an Charles Darwin zu verfassen, adressiert Down House, Bromley, in Kent, den er seinem Manuskript mitgeben wird. Darin bittet er ihn, so erinnert sich Wallace später, seine Ausführung, falls sie es wert seien, gegebenenfalls an Sir Charles Lyell weiterzuleiten. Er hoffe, diese Überlegungen zur Veränderlichkeit von Arten »seien so neu für Darwin wie für ihn«. Von einer Veröffentlichung des Manuskriptes, so betont Wallace 1903 einmal, habe er selbst damals nicht geschrieben. In jedem Fall aber wollte er, so schreibt er in seinen Lebenserinnerungen 1905, dass Darwin es Sir Charles Lyell zeige, »der doch seinen ersten Aufsatz so hoch schätzte«. Es ist just dieser Hinweis in Wallace’ Autobiographie, auf dem nun unlängst jene Historiker ihre Verteidigung aufbauen, die Darwin gegen die mittlerweile erhobenen Vorwürfe verteidigen, er habe möglicherweise unehrenhaft gehandelt und – schlimmer noch – er habe sich erst Wallace’ Theorie zu eigen gemacht und dann dafür gesorgt, dass diese hinter ihm zurückstehen musste. Bedauerlicherweise sind ausgerechnet das handschriftliche Original von Wallace’ Aufsatz sowie jener Begleitbrief an Darwin verschollen, wie eingangs geschildert. Mit dieser Briefsendung aus Ternate, die – als sie schließlich bei Darwin in England ankommt – einen wissenschaftlichen Erdrutsch auslöst, beginnt zugleich auch ein wissenschaftlicher Kriminalfall, der bis heute nicht vollständig aufgelöst ist. Fest steht indes: Hätte Alfred Russel Wallace sein Manuskript nicht an Charles Darwin, sondern direkt an ein Fachjournal wie die »Annals« oder ein anderes geschickt, wie er
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