Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
will hinüber auf die große Nachbarinsel Gilolo, von der das kleine Ternate durch einen schmalen, weniger als zehn Kilometer breiten Meeresarm getrennt ist. Die Insel, die ihre vier fingerförmigen Halbinseln weit in die Molukkensee streckt, ist dicht bewaldet und kaum erforscht. Seine eigenen Aufzeichnungen jedoch geben kein klares Bild der Vorgänge; erst recht nicht sein ansonsten ausführlicher Bericht über die Reisen im »Malayischen Archipel«. Obgleich die Entdeckung des Selektionsprinzips ein so einschneidendes Ereignis ist, handelt Wallace ausgerechnet dieses Kapitel auffällig kurz ab und fasst mehrere Aufenthalte sowohl auf Ternate als auch Gilolo über die Jahre zusammen. Unter der irreführenden Angabe »Gilolo – März und September 1858« schreibt er: »Ich besuchte diese große und wenig bekannte Insel nicht oft und verhältnismäßig kurze Zeit, aber erlangte doch eine beträchtliche Kenntnis ihrer Naturgeschichte.« Aber im Kapitel zuvor, wenige Seiten früher, berichtet er: »Am Morgen des 8. Januar 1858 kam ich auf Ternate an.« Und setzt dann kurz darauf hinzu: »Bald nach meiner ersten Ankunft in Ternate ging ich nach Gilolo, von zwei Söhnen des Herrn Duivenboden und von einem jungen Chinesen, einem Bruder meines Wirtes, der uns ein Boot und Bemannung lieh, begleitet.« Wo also war Wallace wirklich? Im Januar auf Ternate, anschließend auf Gilolo? Im Februar wieder auf Ternate und dann nochmals im März auf Gilolo?
Wallace habe hier ganz bewusst für Nebel gesorgt, meint der amerikanische Historiker Lewis McKinney, der auch Wallace’ Reisetagebuch ausgewertet hat. Darin finden sich nur drei fragmentarische Einträge auf neun Seiten. »Vierzehn Tage auf Ternate« und »einen Monat auf Gilolo« ist dort unter anderem vermerkt. Außerdem hat Wallace in seinen Arten-Inventarbüchern jene Insekten und Vögel aufgeführt, die er nicht auf Ternate, sondern der großen Nachbarinsel Gilolo sammelte. Und es gibt noch eine dritte Quelle, jenes bisher kaum berücksichtigte Arten-Notizbuch. Darin findet sich ein Eintrag, datiert auf den »20. Januar, 1858, Gilolo«. Dieser bestätigt Wallace’ Angabe, dass er sich also knapp zwei Wochen nach seiner Ankunft auf Ternate bereits auf die Nachbarinsel begeben hat. Dazu passt auch ein letzter, unabhängiger Beleg: ein Brief von Wallace an seinen Freund Bates, in dem er aus Ternate schreibt: »Etwa zehn Meilen weiter östlich liegt die große Insel Gilolo. In ungefähr einer Woche gehe ich für rund einen Monat dort sammeln. Es ist die denkbar perfekte entomologische ›terra incognita‹, die sich finden lässt.« Datiert hat Wallace diesen Brief zwar auf den 25. Januar 1858; doch das sei offenkundig nur ein Schreibfehler Wallace’ gewesen, meint Lewis McKinney, als Wallace später diesen Brief in seinen Lebenserinnerungen zitiert. Denn sämtliche anderen aussagekräftigen Hinweise zeigen, dass Wallace am 19. oder 20. Januar nach Gilolo übersetzt.
»Nach drei Stunden Rudern und Segeln erreichten wir unser Ziel, Sedingole, wo ein Haus des Sultans von Tidore steht, der dort manchmal auf die Jagd geht. Es war eine schmutzige zerfallene Hütte mit nur ein paar Bambus-Bettstellen darin. Bei einem Spaziergang über Land sah ich sofort, dass es kein Platz für mich ist. Meilenweit erstreckt sich eine mit grobem und hohem Grase bedeckte Ebene, die von Zeit zu Zeit dick mit Bäumen bestanden ist; das Waldland fing erst ein gutes Stück weiter im Inneren an den Hügeln an. Ein solcher Ort konnte wenig Vögel und keine Insekten bergen.« Wallace beschließt nach zwei unergiebigen Tagen, Sedingole (oder heute Sidangoli) zu verlassen und mit dem Ruderboot weiter südöstlich entlang des schmalen Isthmus zu fahren, der die nördliche Halbinsel gegenüber dem übrigen Teil Gilolos abschnürt. In dem Dorf Dodinga, umgeben von reichem tropischen Regenwald, der zoologische Schätze verspricht, ist eine kleine holländische Regierungsgarnison stationiert, ein Korporal und vier javanische Soldaten in den Ruinen eines alten portugiesischen Forts, das den Erdbeben nicht widerstand. Hier quartiert sich Wallace in einer kleinen Hütte ein, die er für »fünf Gulden für einen Monat« anmietet, wie sein Tagebuch vermerkt.
Einen Monat also will Wallace bleiben, um Insekten und Vögel zu fangen. Aber dann macht ihm die Malaria einen Strich durch die Rechnung. Bereits nach wenigen Tagen hat er die ersten Fieberattacken, die ihn für die nächsten zwei Wochen immer wieder
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