Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
noch nicht weiß, hier aber hätte entdecken können: In der Natur herrscht Damenwahl – und die macht die Männchen zu Machos. So ziemlich zu den schlimmsten unter diesen zählen just jene Geweihfliegen vom Ende des Archipels, bei denen der Schönste die Fliege kriegt. Bei Elch wie Elaphomyia ist es dasselbe Spiel; der Showdown dient dem Kräftemessen im Kampf um die Weibchen. Statt einer Waldwiese im Tann werden bei den Geweihfliegen die von Moosen und Flechten überzogenen Baumstämme und -stümpfe im tropischen Regenwald zum Turnierplatz und anschließend zum Hochzeitsbett. Die Fliegenmännchen beziehen bestimmte Stellen auf dem vermodernden Holz, verteidigen diese gegen Rivalen und umwerben eifrig jedes sich einstellende Fliegenweibchen, das nach der Begattung ihre Eier unter der Rinde deponiert.
Zwar sieht natürlich auch Wallace die offenkundige Parallele zum Platzhirsch, obgleich der hier nur eine anderthalb Zentimeter große Geweihfliege ist. Doch er verpasst eine weitere Gelegenheit, seinen Nachruhm zu mehren – und überlässt das Feld Charles Darwin. Anhand der Geweihfliegen und der Paradiesvögel, deren balzende Schaukämpfe er bereits auf Aru beobachten konnte, hätte Wallace hier an einer abgelegenen Küste Neuguineas die besten Anschauungsobjekte gehabt, um das Phänomen der geschlechtlichen Zuchtwahl (oder sexuellen Selektion, wie man es später nennen wird) erstmals zu beschreiben. Doch er erkennt nicht das Besondere im Offenkundigen, scheint prädestiniert, in die zweite Reihe zu geraten. Gerade erst hat er – später zwar, aber unabhängig von Darwin – entscheidende Elemente der Entwicklungstheorie in seinem Ternate-Aufsatz zusammengefasst, für die der andere den wissenschaftlichen Rahm letztlich allein abschöpfen wird. Doch hier in Dorey legt sich unser kreativer Denker selbst im Angesicht der prägnantesten Beispiele nicht die entscheidende Frage vor: Warum wachsen Geweihfliegen eigentlich jene bizarren Kopfanhänge? Warum haben die Männchen der Paradiesvögel diese aberwitzigen Schmuckfederformen, mit denen sie um Weibchen balzen?
Solches Luxurieren bei Tieren – von Elch und Elaphomyia zu Hirsch und Pfauenhahn – gibt Darwin lange ein Rätsel auf, das ihn nicht ruhen lässt. Viele Jahre später, mehr als ein Jahrzehnt, nachdem er sein Werk über »Die Entstehung der Arten« veröffentlicht hat, wird Darwin ein zweites schreiben, in dem er seine Idee einer sexuellen Selektion vorstellt und ausführlich diskutiert. Es geht um die Frage, warum diese tierischen Trophäen – jene seltsamen Körperanhänge wie die lange Schwanzschleppe beim Pfau, die auffällig gefärbten Federfächer der Paradiesvögel, die hinderlichen Auswüchse der Geweihfliegen – den Männchen im Überlebenskampf nicht ausschließlich Nachteile bringen. Tatsächlich dienen sie als Requisiten in einem Schönheitswettbewerb der Natur, bei dem die Weibchen Jury und Hauptgewinn zugleich sind. Wie Darwin und Wallace inzwischen wissen, herrscht Krieg in der Natur und nur der jeweils am besten Angepasste überlebt. Doch herrscht eben nicht nur das brutale Recht des Stärkeren, so wird Darwin später vorschlagen; vielmehr überlässt die Natur in vielen Fällen den Weibchen die Qual der Wahl. Das, so Darwin, sei die eigentliche Raison d’etre auch des weitausladenden Hirschgeweihs und letztlich jener Formen- und Farbenfülle, mit der sich die Männchen im Tierreich schmücken – vom Vogel bis zur Fliege.
Wallace, der anders als Darwin Paradiesvögel und Geweihfliegen auf Aru und Neuguinea mit eigenen Augen sieht und sie lange beobachtet, erkennt hier buchstäblich den Wald vor lauter Bäumen nicht. Zeit seines Lebens wird er sich nicht mit Darwins Gedanken einer Damenwahl im Tierreich, tatsächlich der Auslese seitens der Weibchen, anfreunden können. Wie wir heute wissen, agieren sowohl natürliche wie auch geschlechtliche Auslese in balancierter Weise nebeneinander; und Darwins Damenwahl-Idee gehört seit wenigen Jahrzehnten (aber auch erst seitdem!) zu den spannendsten Themen biologischer Forschung.
Dem Entdecker entgeht der Ruhm des Entdeckers: Der Ruhm des Entdeckers entgeht indes nicht nur Wallace als demjenigen, der zuerst die bizarren Geweihfliegen findet. Als er seinen Reisebericht schreibt, übersieht er, dass die von ihm gesammelten Geweihfliegen korrekt eigentlich bereits anders heißen. Zwar schickt er seine Fliegen-Beute umgehend nach seiner Rückkehr aus Neuguinea an seinen Agenten Samuel Stevens in
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