Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
Eingang«.
Vielleicht sind es die Totenschädel unterm Dach, die Wallace anfangs noch skeptisch machen; aber so völlig traut er seinen neuen Nachbarn nicht. »Da wir über die Eingeborenen etwas im Ungewissen waren, schliefen wir zuerst mit geladenen Gewehren neben uns und stellten eine Wache auf; aber nach wenigen Tagen, als wir das Volk freundlich fanden und die Überzeugung gewannen, dass sie es nicht wagen würden, uns anzugreifen, trafen wir weiter keine Vorsichtsmaßregeln.« Nach ein paar Tagen ist eine einigermaßen komfortable Hütte aus Baumstämmen und Bambusmatten zurechtgezimmert, er ist endlich eingerichtet. »Am folgenden Tage verließ unser Schoner die östlichen Inseln und ich sah mich als einziger europäischer Einwohner der ungeheuren Insel Neuguinea installiert.« Ottow und Geissler unterschlägt Wallace hier großzügig; sie siedeln ja auf einer kleinen vorgelagerten Insel.
»Wir waren in Dorey ungefähr am Ende der nassen Jahreszeit eingetroffen, eine Zeit, in der das ganze Land mit Feuchtigkeit durchtränkt ist. Die Pfade der Eingeborenen waren so vernachlässigt, dass sich gänzlich überwachsene Hohlwege bildeten, und an solchen Orten hatte sich ein furchtbarer Schmutz angehäuft. Dem nackten Papua ist das kein Hindernis; er watet durch und am nächsten Wasser wird er wieder rein; aber für mich, der ich Stiefel und Hosen trug, war es höchst unangenehm, jeden Morgen in den Schmutz gehen zu müssen.« Trotzdem ist die Umgebung von Dorey anfangs durchaus ein guter Jagdgrund. »Die ersten zehn Tage regnete es noch den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht durch; aber wenn ich nur jede Stunde schönen Wetters hinausging, so brachte ich meine Vogel- und Insekten-Sammlung schon ziemlich vorwärts.« Schlimmer wiegt dann allerdings, dass er nicht jene Vögel zu Gesicht bekommt, deretwegen er gekommen ist. »Es scheint jedoch, dass Dorey nicht der Platz für Paradiesvögel ist, da keine der Eingeborenen daran gewöhnt sind, sie zu präparieren. Die, welche man hier kauft, kommen alle von Amberbaki, etwa hundert Meilen westlich, wohin die Doreyaner zum Handeln gehen.« Wie sich herausstellt, hatte Lesson seine Paradiesvögel nicht selbst bei Dorey gefangen, sondern von mehreren Orten zusammengekauft.
Von der Damenwahl bei Geweihfliegen: Auch bei den Insekten erweist sich Dorey nicht als guter Sammelplatz. »Schmetterlinge waren sehr spärlich vorhanden und meist dieselben, welche ich auf Aru bekommen hatte.« Doch dann endlich ein Lichtblick bei den anderen Ordnungen. Unter ihnen »waren die seltsamsten und neuesten eine Gruppe gehörnter Fliegen, von denen ich vier verschiedene Arten erhielt, die sich auf gestürzten Bäumen und verfaulenden Stümpfen aufhielten«. Wallace entdeckt erstmals Geweihfliegen. Bis dahin der Wissenschaft unbekannt, werden sie später (zu spät, wie sich noch herausstellen wird) von dem Insektenforscher und Finanzier seiner Expedition William Saunders als neue Gattung Elaphomyia beschrieben. Wallace bildet diese Insekten in seinem Reisebericht »in natürlicher Größe und charakteristischer Pose« ab, wie sie sich bei ihren Duellen auf die mittleren und hinteren Beine aufstellen, um Kopf an Kopf miteinander zu ringen. Sie »sind etwa einen halben Zoll lang, schlank von Körper und mit sehr langen Beinen, welche sie anziehen, um ihre Körper hoch über die Fläche zu erheben, auf welcher sie stehen. Das vordere Fußpaar ist viel kürzer und wird oft gerade nach vorn gestreckt, sodass es Antennen gleicht. Die Hörner entspringen unterhalb des Auges. Bei der größten und sonderbarsten Art, Elaphomyia cervicornis, oder Hirschgeweih-Hirschfliege genannt, sind die Hörner fast so lang wie der Körper und haben zwei Äste mit zwei kleinen Knorren nahe der Gabelung, sodass sie dem Geweih eines Hirsches ähneln.«
Wallace ist fasziniert von diesen Tieren aus der Familie der Fruchtfliegen (Tephritidae) und widmet den vier Arten in seinem Reisebericht auf zwei Seiten eine für solche Insekten ansonsten ungewöhnlich ausführliche Beschreibung. Und doch entgeht ihm das eigentlich Besondere an diesen wie Schlupfwespen aussehenden Fliegen, die unter den Insekten die eigentlichen Paradiesvögel sind. Nicht etwa, weil ihr namensgebender Kopfschmuck bezogen auf die Körpergröße weit kapitaler ist als jener der Hirsche. Vielmehr weil hinter der bizarren Erfindung ihrer »Geweihe« eine treibende Kraft der Natur steckt – ein Faible der Weibchen fürs Extravagante. Denn was Wallace
Weitere Kostenlose Bücher