Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
diese Exkursion wagen. Denn in diesen Tagen verunsichern Seeräuber in den Gewässern rund um Aru Händler wie Einheimische. Tatsächlich plündern Piraten hier immer wieder die reich mit Waren beladenen Schiffe, bringen die Mannschaften um und kommen sogar gelegentlich an Land, wo sie Siedlungen niederbrennen, die Männer morden und Frauen und Kinder verschleppen. Mitte März erreicht Wallace endlich mit seiner kleinen Schar nach einigen Stunden Fahrt durch einen der von Mangrovensümpfen gesäumten Kanäle das Zentrum der Insel Wokan. In einer höchst einfachen Hütte, die von einem Dutzend Aruaner bewohnt wird, räumen diese ihm etwas Raum ein, wo er eine Woche bleiben kann; seine Helfer schlafen derweil im Boot, um seine Ausrüstung zu bewachen. Einmal mehr schränkt Regen während der nächsten zwei Tage das Sammeln ein; »aber endlich, als ich schon zu verzweifeln begann, kehrte mein Bursche Baderoon eines Tages mit einer Beute zurück, welche mich für Monate vertaner Zeit und unerfüllter Erwartungen entschädigte«.
Es ist ein kleiner Vogel, kaum größer als eine Drossel, doch von einer geradezu aberwitzig verschwenderischen Pracht, die in Wallace Fragen an die Sinnhaftigkeit einer hier waltenden Schöpfung aufkommen lässt. »Der größere Teil seines Gefieders war intensiv zinnoberrot mit einem Glanz wie von gesponnenem Glas. Auf dem Kopf wurden die Federn kurz und sammetartig und gingen in ein prächtiges Orange über. Darunter von der Brust abwärts war er rein weiß von Seidenweiche und -glanz, und quer über der Brust trennte ein Band von tiefem metallischen Grün diese Farbe von dem Rot der Kehle. Über jedem Auge befand sich ein Fleck von demselben metallischen Grün. Der Schnabel war gelb, und die Füße und Beine, von einem schönen Kobaltblau, kontrastierten auffallend mit allen anderen Teilen des Körpers.« Höchst detailliert schildert Wallace später Gefieder und Aussehen dieses »Edelsteins vom reinsten Wasser«. Das vielleicht Bemerkenswerteste an diesem Vogel sind indes eigenartige, grau und grün gefärbte Federbüschel, die der Vogel zu Fächern entfaltet, sowie zwei lange, schlanke Mittelfedern des Schwanzes. Diese ragen aus den übrigen Federn heraus, rollen sich nach etwa 12 Zentimetern spiralig auf und bilden jeweils an der Außenseite einen Fahnenbart, ein Paar eleganter, glitzernder Plättchen, ebenfalls schön metallisch grün gefärbt. »Zusammen mit der höchst exquisiten Schönheit des Gefieders machen diese aufgerollten Federstrahlen ihn zu dem lieblichsten aller lieblichen Naturprodukte«, so schließt Wallace seine Beschreibung jenes Vogels, den die Wissenschaft als Cicinnurus regius kennt – den Königs-Paradiesvogel (bei Wallace heißt er noch Paradisea regia ). Die Einheimischen auf Aru nennen ihn schlicht »goby-goby«, und sie sehen in ihm nicht mehr als wir in einer Singdrossel. Für Wallace indes bedeutet er, am Ziel seiner Reise auf die östlichsten Inseln des Archipels angelangt zu sein.
Denn nicht zuletzt wegen dieser »cenderawasih«, die es nur hier gibt, ist er gekommen. Mit diesem Wort aus der Bahasa-Sprache – der Lingua franca in den meisten Orten, die er im indo-australischen Inselreich bereist – bezeichnen die Einheimischen bis heute die vielleicht exotischsten Vögel weltweit. Cenderawasih oder Paradiesvögel haben in Europa von jeher die Phantasie beflügelt. Es sind ebenso exquisite wie legendäre Vögel, die ihren Namen verdienen, ihn aber nicht wegen ihres phantastischen Gefieders bekamen; obgleich dieses zweifelsohne zum Kuriosesten gehört, was sich die Natur in Sachen Vogelschmuck hat einfallen lassen. Als im 16. Jahrhundert die ersten Weltumsegler nicht nur Reichtum verheißende Gewürzladungen, sondern auch die ersten Bälge – die ausgenommene Federhaut – dieser prächtigen Vögel nach Europa brachten, verbreiteten sich rasch wilde Gerüchte. Denn nirgends entdeckte man an ihnen Beine und Füße; so glaubte man lange, die Tiere seien Sylphen – Luftgeister, die in der Unendlichkeit des Himmels lebten –, oder dass sie gar direkt aus dem Paradies kämen. Dabei hatten die Eingeborenen auf Neuguinea und den umliegenden Inseln der Molukken diesen vermeintlich paradiesischen Vögeln schlicht die Beine abgehackt, bevor sie die Tiere abbalgten. Importeure und Händler freilich schürten die »himmlischen« Gerüchte um die exotischen Vögel. Portugiesische Seefahrer, die zuerst zu den Gewürzinseln kamen, haben sie »Passaros de Sol«
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