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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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genannt, die ihnen nachfolgenden Holländer »Avis paradiseus«; und jener bereits erwähnte Linné beschrieb 1760 aufgrund eines wie üblich beinlosen Balgs den Großen Paradiesvogel als Paradisea apoda, der ohne Füße.
    Tatsächlich haben die etwas mehr als knapp vierzig bekannten Paradiesvogelarten die wohl bizarrsten Federbildungen im Tierreich. Während die Weibchen meist schlicht grau und braun gefärbt sind, entfalten die Männchen ein in den buntesten Farben strahlendes, von Lichteffekten sprühendes Prunkgefieder. Bei den Paradiesvögeln kennt die künstlerische Gestaltungsfreiheit der Natur keine Grenzen. Noch Jahrzehnte nach Wallace’ Reise zu den Paradiesvögeln dachte ein britischer Vogelkundler am Londoner Naturhistorischen Museum zuerst an eine Fälschung, als er den Balg eines anderen Federwimpel tragenden Exoten von den Gewürzinseln untersuchte. Er meinte, die Wimpelfedern müssten doch wohl ganz offenkundig von Menschenhand angekleistert worden sein; ein dreister Scherzbold habe damit eine Art ornithologischen Wolpertinger fabriziert. Dabei sind die Tiere aber alles andere als ein Scherzartikel der Natur.
    Paradiesvögel wurden zu begehrten Sammlerobjekten; nicht nur bei prunksüchtigen Damen in den adeligen Kreisen europäischer Fürsten- und Königshäuser, die sich buchstäblich mit falschen Federn schmückten; auch bei Naturforschern und Naturaliensammlern wurden sie bald zu heiß begehrten Trophäen. Heute zieren Cenderawasih indonesische Banknoten; und wer unter den wohlhabenderen Indonesiern auf sich hält, hat einen ausgestopften Paradiesvogel – meist mit abgespreiztem Gefieder montiert, unter einer Art gläsernen Käseglocke – prominent im Haus zur Schau gestellt. Er dient als Statussymbol und ist ein Prestigeobjekt, das ein Jahrhundert nach Wallace über eine Million Paradiesvögel das Leben gekostet haben dürfte und inzwischen das Überleben der meisten ihrer Arten trotz formalen Schutzes ernstlich gefährdet.
    Von Wokan nach Wanumbai: Bei seinem Abstecher auf die Insel Wokan gelingt es Wallace im März 1857 noch am selben Tag, sogar ein zweites Männchen des Königs-Paradiesvogels zur Strecke zu bringen, »mit gleich vollkommenem Gefieder«. Er ist hochbeglückt, denn bis dahin sind von Cicinnurus regis, dem Kleinsten unter den Paradiesvögeln, keine wirklich gut erhaltenen Exemplare je nach Europa gelangt. Meist werden sie über viele Zwischenhändler weitergegeben, was ihr Gefieder erheblich leiden lässt. Die von Wallace auf Aru selbst erbeuteten Exemplare sind dagegen absolut perfekt. Zudem kann Wallace seinen Cicinnurus erstmals sogar lebend einige Zeit beobachten. »Er besucht die niederen Bäume des weniger dichten Waldes, ist sehr lebhaft, fliegt mit kräftigem Flug und einem schwirrenden Geräusch und hüpft und flattert unablässig von Zweig zu Zweig. Er ißt Früchte mit harten Steinen so groß wie eine Stachelbeere und schlägt mit seinen Flügeln, wobei er die schönen Fächer, mit denen seine Brust geziert ist, erhebt und ausbreitet.«
    Wallace fühlt sich privilegiert, diesen »vollkommenen kleinen Organismus« angeschaut zu haben und zu besitzen. Bescheiden fügt er hinzu, dass die Empfindungen eines Naturforschers angesichts solch einer Rarität zu beschreiben einer poetischeren Ader und literarischerer Fähigkeit bedürfe, als er sie besitze, »wenn sie vollkommen zum Ausdruck gelangen sollen«. Dann aber versucht er sich doch daran: »Ich dachte an die lange vergangenen Zeiten, während welcher die aufeinanderfolgenden Generationen dieses kleinen Geschöpfes ihre Entwicklung durchliefen – Jahr auf Jahr zur Welt gebracht wurden, lebten und starben, und alles in diesen dunklen, düsteren Wäldern, ohne dass ein intelligentes Auge ihre Lieblichkeit erspähte – eine üppige Verschwendung von Schönheit. Solche Gedanken wecken eine melancholische Stimmung.« Als Wallace Jahre nach seiner Rückkehr aus dem Malayischen Archipel seinen Reisebericht verfasst, reflektiert er in Erinnerung an den kaum drosselgroßen Paradiesvogel auf eine Weise, die ihn uns heute als seiner Zeit um wenigstens ein Jahrhundert voraus ausweist. »Auf der einen Seite erscheint es traurig, dass so außerordentlich schöne Geschöpfe ihr Leben ausleben und ihre Reize entfalten nur in diesen wilden, ungastlichen Gegenden, welche für Jahrhunderte zu hoffnungsloser Barbarei verurteilt sind; während es auf der anderen Seite, wenn zivilisierte Menschen jemals diese fremden Länder erreichen

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