Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
Vom Netzwerk:
dreht sich dadurch munter im Kreis. Weil ihm eine sachlich fundierte Erklärung fehlt, geht er (anders als Darwin) einen Schritt weiter, verlässt damit aber den Boden der Wissenschaft und führt etwas Übernatürliches als Ursache an. Doch wo das sichere Wissen endet (und es ist endlich!), beginnt der Glaube. Auch Wallace weiß nicht mehr als andere und wird zeit seines Lebens eine stichhaltige Erklärung für seinen Glauben an eine höhere Intelligenz schuldig bleiben müssen. Wissenschaft und Glaube sind verschiedene Wege, sich der Welt und ihren Erscheinungen zu nähern und sich diese zu erschließen; Ersterer sind indes engere Grenzen gesetzt, und die überschreitet Wallace, ohne es zu merken – oder zumindest wahrhaben zu wollen.
    Darwin erfährt noch vor Erscheinen des Beitrags von Wallace’ neuen Überlegungen, befürchtet das Schlimmste und schreibt ihm in einem Brief: »Ich hoffe, Sie haben nicht Ihr eigenes und mein Kind gänzlich umgebracht.« Als er dann kurz darauf Wallace’ Aufsatz liest, ist er entsetzt. Wie heftig er erschrocken sein muss, zeigt sein »Nein«, das er in die Randspalte des Aufsatzes kritzelt, ein dreifach unterstrichenes »Nein« mit vielen Ausrufungszeichen. »Wenn Sie es nicht gesagt hätten«, schreibt er an Wallace, »hätte ich angenommen, es ist von jemand anderem und nicht Ihnen. Wie Sie bereits erwartet haben, bin ich entschieden anderer Ansicht als Sie, und das tut mir sehr leid. Ich kann keine Notwendigkeit einsehen, in Bezug auf den Menschen eine weitere letztendliche Ursache zu bemühen.« Darwin versteht nicht, was Wallace plötzlich umtreibt, und setzt hinzu: »Ich fürchte, wir werden uns niemals ganz vollständig verstehen.«
    Wallace meldet sich im darauf folgenden Jahr mit einem eigenen Werk zu diesem Thema zu Wort, den »Contributions to the Theory of Natural Selection«. In diesem Sammelband seiner Essays nimmt er auch seine beiden Aufsätze zur Frage des Menschen und der Wirkung der natürlichen Auslese auf. Doch verändert er darin nachträglich den Text seines ersten Aufsatzes aus dem Jahre 1863, in dem er noch programmatisch die Wirkung der natürlichen Auslese beim Menschen nachzuweisen angetreten war. In der Überarbeitung fügt er nun hinzu: »So sehe ich mich zu dem Schlusse gedrängt, dass es eine Folge der eingeborenen fortschreitenden Kraft jener herrlichen Eigenschaften ist, welche uns so unermesslich weit über unsere Mitgeschöpfe erheben und uns zu gleicher Zeit den sichersten Beweis liefern, dass es andere und höhere Existenzen, als wir selbst sind, gibt, von denen diese Eigenschaften hergeleitet sein mögen und denen wir immer zustreben können.« Wer oder welcher Natur diese »anderen und höheren Existenzen« sein sollen, vermag er weiterhin nicht zu sagen; aber so bringt er das intellektuell halsbrecherische Kunststück fertig, am Ende dieses ersten Essays etwas anderes zu sagen und zu behaupten, als er anfangs noch gute Gründe hatte anzunehmen.
    Wallace wird diesen Denkweg sein Leben lang fortsetzen; Darwin ist von übernatürlichen Erklärungen niemals überzeugt. Er wagt sich 1871 an das brisante Thema, das er 1859 noch wohlweislich ausgeklammert hat; und beweist auch hier einmal mehr strategisches Geschick bei der Publikation und Durchsetzung seiner Theorie. Nachdem Darwin die Welt schockiert hat, wartet er ab, bis das Thema Menschwerdung in der viktorianischen Öffentlichkeit durch viele Debatten (zu der eben auch Wallace beiträgt) hinreichend bekannt und gleichsam verdaulich geworden ist. Erst dann wagt er sich mit seinem Buch »Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl« an die Öffentlichkeit. Es wird ein Beststeller der damaligen Zeit, der Darwin 1500 Pfund einbringt. Viele Jahre, schreibt Darwin im Vorwort des Buches, habe er Notizen über die Abstammung des Menschen gesammelt; freilich lange ohne die Absicht, darüber zu publizieren. Darwin weist auf die Verbindung zwischen Menschenaffen und Menschen hin, argumentiert aber eben nicht, dass der Mensch direkt von den heute lebenden Affen abstamme. Vielmehr habe der Mensch mit diesen gemeinsame Vorfahren, die ebenfalls Affen gewesen seien (was durchaus mehr als eine semantische Spitzfindigkeit ist, sondern das Grundverständnis evolutiver Vorgänge betrifft!).
    Dann zeigt er ausführlich auf, wie die natürliche Auslese auch die Ausbildung und vor allem die Umbildung der Organe des Menschen einschließlich aller geistigen Fähigkeiten zu erklären imstande ist.

Weitere Kostenlose Bücher