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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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Volksgruppen, um den ebenso überfrachteten und belasteten wie auch irreführenden Rassenbegriff zu vermeiden). Wallace hat dazu gleich aus zweierlei Gründen etwas beizutragen: Einerseits, weil er eine Theorie der gemeinsamen Abstammung aller Lebewesen entwickelt, und andrerseits, weil er auch jene markante Trennlinie im Vorkommen der malayischen und papuanischen Bevölkerung des Archipels entdeckt hat. Damit stößt er auf ein überaus reges Interesse; und wir müssen uns hier kurz die Verhältnisse und das geistige Milieu im England jener Zeit ansehen, in das Wallace zurückgekehrt ist.
    Es ist allgemein eine Wendezeit im Denken der Menschen; und der damit einhergehende Wandel des Weltbilds ist kaum zu überschätzen. Um den Kreationismus und die Konstanz der Arten wird heftig gestritten; zwar nicht von den breiten Massen, aber doch von den inneren Zirkeln einer geistig aufgeschlossenen Gesellschaft derjenigen, die Zeit und Muße haben, sich solchen Fragen zu widmen. Ein wichtiger Fortschritt sind die Einsicht in die Veränderlichkeit geologischer Strukturen und der Klimate der Vorzeit, eine bessere Einschätzung des tatsächlichen Alters der Erde und die Erkenntnis, dass Kontinente und Ozeane sich in dynamischer Weise verändern (wenn auch damals nur an vertikale Bewegung gedacht wird und ein horizontales Verdriften noch lange undenkbar bleibt). Darwins und Wallace’ Theorie von veränderlichen, auseinander hervorgehenden Arten löst endgültig die bis dahin lange gängige Vorstellung einer statischen und unveränderlichen Welt ab. Darwins Buch hat enormen Einfluss auf die Meinungsbildung vor allem der englischen Öffentlichkeit und markiert bis heute einen entscheidenden Wendepunkt in der Geistesgeschichte. Denn nicht nur die viktorianische Gesellschaft auf den britischen Inseln, auch die Menschen auf dem Kontinent in Europa und Amerika sind aufgebracht über die Frage nach der Herkunft ihrer eigenen Spezies. Stammt der Menschen tatsächlich von affenähnlichen Vorfahren ab? Wann genau ist er aufgetreten? Und sind die »Rassen« des Menschen nur mehr Variationen des Homo sapiens oder doch distinkte Arten, in beiden Fällen eng verwandt, aber eben doch getrennt? Was sind eigentlich Arten und wie entstehen sie? Es sind Fragen, die noch Jahrzehnte, ja bis heute durch die Köpfe der Menschen geistern – und viele verwirren.
    Darwin ist dieser Diskussion anfangs in seinem Buch über »Die Entstehung der Arten« ausgewichen. Nur ein lapidarer Satz findet sich am Ende dazu, in dem er dank seiner neuen Theorie andeutet: »Licht wird auf den Ursprung des Menschen und seine Geschichte fallen.« Noch kurz nach Erscheinen seines Werkes wird er im Januar 1860 in einem Brief erklären: »Was den Menschen angeht, möchte ich auf keinen Fall meine Überzeugung aufdrängen; aber ich empfand es als unehrlich, meine Meinung völlig zu verheimlichen. – Natürlich steht es jedem frei, zu glauben, dass der Mensch durch ein besonderes Wunder erschien, obwohl ich persönlich dessen Notwendigkeit oder Wahrscheinlichkeit nicht sehe.«
    Einer der einflussreichsten Kontrahenten Darwins in dieser Frage ist Richard Owen, der sich erst als Professor am Royal College of Surgeons und später als Leiter der naturkundlichen Sammlungen des British Museum eine Machtposition im viktorianischen Wissenschaftsbetrieb erkämpft hat (er tat dies nicht immer mit den feinsten Methoden, aber das ist Stoff für eine andere Geschichte). Als krankhaft ehrgeizig bekannt, ist Owen offenkundig eifersüchtig auf Darwins (und Wallace’) Idee mit der Abstammung der Arten. Er schreibt eine sehr abfällige Besprechung zu Darwins Buch. Owen hat dabei seine eigenen Vorstellungen, die durchaus von einer Evolution ausgehen; nur werden bei ihm Arten irrigerweise ganz unmittelbar aus anderen Arten geboren. Was einen kritischen Geist seiner Zeit zu der lästerlichen Frage veranlasst, wie es denn nach Owens Ansicht möglich sein könne, dass der Mensch wohl einst »durch den Schoß einer Äffin« hervorgebracht wurde? So funktioniert Evolution nun tatsächlich nicht und Owens Ideen können niemanden überzeugen.
    In unserem Zusammenhang ist hier wichtig, dass bereits zu dieser Zeit jenes Rückzugsgefecht beginnt, bei dem Gläubige wie Wissenschaftler über Jahrzehnte, ja das gesamte folgende Jahrhundert hindurch immer wieder die markanten Unterschiede zwischen dem Menschen und seinen nächsten Verwandten im Tierreich betonen. Zuerst sind dies die vermeintlich

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