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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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Religion, der sich Menschen überall auf der Welt verbunden fühlen.
    Sämtliche seiner Überzeugungen haben nichts mit dem Kreationismus, also einer wortwörtlichen Auslegung der in der westlichen Welt vorherrschenden christlichen Schöpfungslehre zu tun; obgleich seine Argumente bei oberflächlicher Betrachtung an eine orthodoxe, aus dem 17. Jahrhundert stammende theologische Grundidee erinnern mögen – an die des angeblich perfekten Designs in sämtlichen Merkmalen und Strukturen lebender Organismen, in denen viele das vermeintliche Walten eines Gottes erkennen wollen. Um es nochmals zu sagen (weil just in allerjüngster Zeit versucht wird, Wallace entsprechend zu vereinnahmen): Er war in seiner Begründung einer Sonderstellung des Menschen und seines Gehirns in keinster Weise ein religiös motivierter Kreationist; vielmehr kombiniert er eine konsequente Auslegung der naturwissenschaftlich begründeten Theorie der natürlichen Selektion mit uns heute völlig fremden spiritualistischen Überlegungen als Teil seiner ganz persönlichen Weltsicht. Der Spiritualismus wiederum ist in den 1860er- und 1870er-Jahren eine Modeerscheinung insbesondere der viktorianischen Welt (ausgeprägt aber auch in Amerika), auf dem Kontinent glücklicherweise eher von marginalem Interesse. In keinem Fall ist es eine wissenschaftlich-methodische Vorgehensweise, die den Test der Zeit überstanden hat.
    Wallace ist gleichsam auf der Suche nach dem X-Faktor der Evolution, nach irgendeinem weiteren, bis dato unentdeckten Mechanismus, der offenkundige Rätsel wie den Intellekt des Menschen und dessen vermeintlich einzigartige Stellung zu erklären vermag und für alles einen umfassenden Rahmen bietet. Ein schöner Gedanke, dem viele Denker verfallen sind, ohne dass wir wissen, ob es diesen Rahmen überhaupt gibt. Mit dieser Suche ist Wallace also durchaus nicht allein; und viele sind auch zu seiner Zeit bestrebt, Wissenschaften und Religion irgendwie miteinander zu versöhnen. Wie Wallace meinen viele Menschen, es gebe Dinge, die größer sind als wir; Dinge, die wir nicht werden erklären oder gar beweisen können (zumal es solch einen Beweis letzter Dinge in der Welt der Naturforschung nach dem modernen Selbstverständnis der Wissenschaft ohnehin nicht gibt). Tatsächlich müssen wir damit leben – leben lernen. Für viele ist Gott in diesem Zusammenhang so etwas wie die Beziehung ihrer Seele und ihres Menschseins mit dem großen Unbekannten und dem Universum, bei jedem auf seine Weise. Auch Wallace sucht hier seinen Weg. Und wir können hier bereits feststellen: Er verirrt sich dabei und vermag niemanden recht zu überzeugen. Auch verlässt er dabei mehr als einmal den wissenschaftlichen Naturalismus der meisten seiner von der Evolution überzeugten Zeitgenossen, allen voran Darwin, Huxley und auch Hooker oder später Lyell. So glaubt Wallace, in der nicht religiösen Spiritualität einen Lösungsansatz zu finden, und wird später sogar versuchen, sämtliche Erscheinungen in der Natur einschließlich des Menschen als Teile eines größeren Ganzen zu verstehen.
    Offenkundig sucht Wallace seinen eigenen Weg auch und nicht zuletzt, um seine Theorie zu retten, nach der die Wirkung der natürlichen Selektion allmächtig und allgegenwärtig ist; dass es keine natürliche Kraft außer dieser gibt – bis auf die Sache mit dem Gehirn des Menschen. Das klingt paradox – und ist es tatsächlich auch. Aber es ist wichtig: Dass Wallace einerseits konsequent an der Wirkung der Idee einer allein natürlichen Auslese festhält, andererseits ausgerechnet beim Menschen diese nicht mehr verantwortlich sieht, macht sein Denken zugleich konsequent und widersprüchlich. Diesen Widerspruch werden wir noch näher beleuchten. Wallace löst damit zunächst zwar einige seiner Probleme, die ihn lange beschäftigen; doch in anderer Hinsicht liefert just dies gerade nicht die befriedigende Antwort, um die es ihm geht.
    Seinen Biographen hat Wallace mit dieser spiritualistischen Ader viele Rätsel aufgegeben. Zu welchen ganz unterschiedlichen Interpretationen dies in der Folge geführt hat, soll an dieser Stelle nicht im Detail untersucht werden. Wir wollen hier nur festhalten, was für unseren Zusammenhang wichtig ist. Viele Wallace-Forscher meinen: Ob es Wallace nun bewusst ist oder nicht, sein wachsendes Interesse an mentalen und psychologischen Phänomenen lässt ihn auch seine Ansichten zur Wirkung der natürlichen Selektion ändern. »Dieses Faktum – wenn es

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