Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
spiritualistischen. »Der ganze materialistische Sinn meiner Jugend und frühen Manneszeit ist gänzlich umgeformt ins Spiritualistische und Theistische«, wird er später schreiben. Als Grund für seine Faszination am Spiritualismus wird vor allem zweierlei angenommen: Zum einen ist Wallace tatsächlich in vielen Dingen unkonventionell, er erlaubt sich etwa, nicht nur ein romatischer Schwärmer zu sein, sondern ist auch ein wissenschaftlicher Skeptiker, der sich nicht scheut, orthodoxen Sichtweisen und Standpunkten entgegenzutreten. Derselbe freidenkende Geist, der ihn früh an die Evolution glauben ließ – wohlgemerkt wider der damaligen Mehrheitsmeinung – und schließlich auch den Selektionsmechanismus finden ließ, verführt ihn sicher auch in anderer Hinsicht, ein Freund abseitiger Ideen zu sein. Sein intellektuelles Interesse wird gleichermaßen von neuen Ideen wie vom Widerstand gegen herrschende Ansichten angezogen. »Der den Hang aufwärts gerichtete Kampf in einem unpopulären Fall«, schreibt er einmal an einen Freund, »hat einen Charme, dem ich nicht widerstehen kann.« Das erklärt vieles in Wallace’ späterem Leben.
Zum anderen berichten Freunde und Zeitzeugen, dass Wallace an das Gute im Menschen und seiner Natur glaubt; dass er in ihm etwas Besonderes sieht, nicht einfach nur ein Tier wie jedes andere, sondern ein Wesen von besonderer Begabung. Zudem ist er besonders unkritisch und gutgläubig immer dann, wenn sein Gemüt angeregt wird und es noch dazu um ein Mitglied seiner Familie geht, so glauben andere. Alfred und Fanny überleben als Einzige von acht weiteren Geschwistern, mit denen sie während der Séancen hoffen in Berührung zu kommen. Und schließlich könnte sein sehr spezieller Glaube auch vom frühen Tod seines ältesten Kindes beeinflusst worden sein, mit dem er ebenfalls zu kommunizieren hofft.
Der andere Wallace: Wallace’ Problem ist bei alldem nicht, dass er überhaupt glaubt. Auch Darwins Vertrauter und Mentor Charles Lyell ist lange noch von der Schöpfung überzeugt, und Francis Galton, ein Cousin Darwins, ist sogar ebenso Spiritualist wie Wallace. Dessen Problem ist, dass er glaubt, der Spiritualismus sei wissenschaftlich-experimentellen Untersuchungen zugänglich. Nachdem er ein überzeugter Unterstützer geworden ist, fordert er in seinen Schriften, gerade diese »übernatürlichen«, also scheinbar unerklärbaren Phänomene bedürften einer ernsthaften wissenschaftlichen Beschreibung. »Der Spiritismus ist eine Experimentalwissenschaft und gewährt die einzig sichere Grundlage für eine wahre Religion.« Wallace hält ihn sogar, statt aller existierenden Religionen einschließlich des Christentums, für die Religion der Zukunft, weil er »an den Beweis anstatt an den Glauben appelliert und Tatsachen für Meinungen gibt«. Nun ja.
Auch andere versuchen, sich dem Spiritualismus zu nähern und die zahllosen damit in Zusammenhang stehenden Erscheinungen zu untersuchen. Aber Wallace fehlt ihre Skepsis und Vorsicht. Dabei wird er gewarnt. »Die Phänomene sind Ihrer Aufmerksamkeit unwürdig«, schreibt der ihm wohlgesinnte Thomas Henry Huxley, dem er in einem Brief 1866 den Spiritualismus als »einen neuen Zweig der Anthropologie« schmackhaft machen will. Tatsächlich hat Wallace selbst längst den Boden der biologischen Anthropologie verlassen. Als Wallace Huxley einmal zu solch einem Geisterabend einladen will, lehnt Huxley mit den Worten ab: »Das Geschwätz der würdigen Geister Ihrer Freunde ist nicht interessanter für mich als jedes andere Geschwätz.« Er, Huxley, habe wenigstens ein halbes Dutzend weitaus spannenderer Untersuchungen auf dem Tisch, denen er sich lieber widmen wolle; und er habe das Studium des Spiritualismus aus demselben Grund aufgegeben wie das Schachspiel: »Es ist zu unterhaltsam, um als rechte Arbeit gelten zu können. Und es ist zu harte Arbeit, um wirklich unterhaltsam zu sein.«
Unbeeindruckt von diesem Urteil wie auch den Vorurteilen anderer Wissenschafter, wird Wallace nie wankend; und obgleich ihm die meisten seiner Kollegen trotz mehrfacher Versuche, sie zu überzeugen, nicht folgen mögen, arbeitet er seine Ansichten zum Spiritualismus unbeeindruckt in Büchern und Beiträgen aus. Erstmals stellt er diese im Spätsommer 1866 in dem Aufsatz »The Scientific Aspect of the Supernatural« dar. Im Sommer 1874 erscheint dann »A Defense of Modern Spiritualism« als Verteidigungsschrift »des Spiritualismus, seiner Tatsachen und seiner
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