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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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sondern überall in Südostasien, nur ist es anderswo weniger gut dokumentiert. So diente der Exodus der Natur in Singapur unlängst als Grundlage für eine düstere Extrapolation. Analog den Verhältnissen dort wird demnach bis 2100 Südostasien zwei Drittel seines ursprünglichen tropischen Regenwaldes eingebüßt haben und dann ebenfalls beinahe die Hälfte seiner einstmals so reichen Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten verloren haben. Verschwunden sein werden insbesondere sämtliche Wallace-Arten – jene Schmetterlinge, Vögel und Säugetiere, denen einst sein Augenmerk in erster Linie galt.
    Räuber im Regenwald auf Borneo: Heute ist das allgemeine Artensterben zugleich kurzfristiger und großflächiger; aus Singapur wird Sumatra und Sulawesi, aus Bali wird Borneo und Neuguinea. Was in Singapur immerhin knapp 180 Jahre dauerte, schafft dort nur eine Generation seit etwa 1980. Wie gesagt, der rasante Raubbau ist ein Werk unserer Tage. Wir selbst sind die Täter; in einer globalisierten Welt jeder von uns und jeder auf seine Weise.
    Nirgendwo ist Wallace’ Welt auf so dramatische Weise und schneller verschwunden als im Inneren des Inselreichs Indonesien. Als Wallace 1855 am Sadong-Fluss in Sarawak im Norden Borneos ankam, fand er die reichsten Jagdgründe ausgerechnet dort, wo die meist chinesischen Minenarbeiter auf frisch gerodeten Flächen am Rande des ansonsten noch unberührten tropischen Regenwaldes mit den verrottenden Baumholzkäfern und anderen Insekten den Tisch reich gedeckt haben. So verschaffte bereits damals die erste Plünderung der natürlichen Ressourcen dem naturkundlichen Sammler Einblick in eine für ihn ebenso fremde wie großartige Natur. Heute gibt es sie auch dort nicht mehr.
    Auf Borneo begann die Plünderung im ganz großen Stil in den 1980er-Jahren, als Holzfäller und international operierende Holzfirmen kamen, die zuerst dem Regenwald im Tiefland entlang der Küsten dieser riesigen Insel zusetzten. Lagen die jährlichen Waldverluste zwischen 1880 und 1980 bei 0,3 Prozent, stiegen sie in den vergangenen drei Jahrzehnten auf 1,4 Prozent im Jahr. Das erscheint auf den ersten Blick nicht viel; tatsächlich aber ist der Verlust gigantisch und nicht wiedergutzumachen.
    Borneo ist nach Grönland und Neuguinea die drittgrößte Insel der Welt, zweieinhalbmal so groß wie Deutschland. Die rund 5000 Kilometer Küstenlinie waren von Mangrovewäldern gesäumt, nur wenige Buchten konnte man zu Lebzeiten Wallace’ besiedeln. Der Rest war bis hoch ins Gebirge von tropischem Urwald bedeckt; immerhin 80 Prozent der Insel noch vor dreißig Jahren, 75 Prozent waren es noch vor fünfundzwanzig Jahren. Bis dahin zählten die Regenwälder Borneos zu den artenreichsten Regionen der Erde, mit 15000 verschiedenen Blütenpflanzen (ebenso viele wie in ganz Afrika), mehr als 3000 Baumarten (dass tausend verschiedene Baumarten allein auf einem Hektar zu finden sind, ist Weltrekord), mit bis zu 750 von insgesamt 2000 bekannten Arten an Orchideen, mit insgesamt 221 Säugetierarten, 622 Vogelarten sowie mehr als 400 verschiedenen Reptilien- und Amphibienarten (darunter etwa 80 Eidechsen, 140 Schlangen und 160 Frösche). Gerade bei Letzteren wird immer noch Neues entdeckt. Insgesamt 360 neue Tierarten waren es in den letzten Jahren.
    Doch dieser natürliche Artenreichtum schwindet auf Borneo zusammen mit den abgeholzten Regenwäldern so schnell wie in keiner anderen Region der Erde. Eine Studie zeigt, dass auf Borneo während der beiden vergangenen Jahrzehnte mehr Holz eingeschlagen wurde als in Afrika und Südamerika zusammen. Eine andere Studie belegt, dass allein im indonesischen Teil Borneos, in Kalimantan, zwischen 1985 und 2001 mehr als die Hälfte des tropischen Regenwaldes verloren ging, und zwar selbst in unbesiedelten und abgelegenen Regionen; 1,3 Millionen Hektar Wald pro Jahr. 2008 hielt Indonesien Einzug ins Guinnessbuch der Rekorde, dank der höchsten Abholzungsrate, der bis 2005 jährlich eine Fläche von 1,8 Millionen Hektar zum Opfer fielen. Tendenz weiterhin steigend; denn jüngst wurden dort sogar mehr als zwei Millionen Hektar Wald im Jahr gefällt – jedes Mal eine Fläche so groß wie Mecklenburg-Vorpommern. Oder anders ausgedrückt: Wir verlieren Wald von der Größe von fünf oder mehr Fußballfeldern pro Minute, jeden Tag etwa 150 Hektar. In nur wenigen Jahren, bis 2020 oder spätestens 2022, werden auf Borneo die dortigen Tiefland-Regenwälder vollständig verschwunden sein.
    Die nächste

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