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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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nicht gefunden ist; womöglich, weil es nicht zu finden ist.

Epilog –
Verschwundene Wälder
    Natürlich ist die aus Baumstämmen und Sagopalmwedeln errichtete einfache Hütte in Dodinga auf der Molukken-Insel Halmahera längst schon verrottet; wenn es überhaupt hier war, wo Alfred Russel Wallace das Manuskript jenes berühmten Aufsatzes schrieb, der Darwin so schockierte. Rund um das einfache Dorf und im Flachland beidseits der Landenge breiten sich wie in endlos scheinenden Reihen stehende Ölpalmen aus. Der tropische Regenwald, in dem Wallace auf Jagd nach Schmetterlingen und Vögeln ging, ist verschwunden und mit ihm viele Bewohner dieses einmaligen, weil insulären Lebensraumes.
    Auch das Wohnhaus auf der benachbarten Gewürzinsel Ternate, das Wallace während seiner Expeditionen durch die Inselwelt der Molukken jahrelang als Basislager diente, ist nicht mehr sicher auffindbar. Längst hat sich die Stadt, eingezwängt zwischen Meeresküste und steilem Vulkankegel, weit nach Norden und Süden ausgedehnt, die Insel ist mit mittlerweile mehr als 160000 Einwohnern dicht besiedelt.
    Mehrfach landete Wallace auch auf der Insel Ambon im Zentrum der Molukken. Als er dort mit dem Schiff in den Naturhafen von Amboina einlief, der vom südlichen Arm der Insel eingeschlossen wird, beeindruckten ihn im glasklaren Wasser die bis dicht unter die Meeresoberfläche ragenden Korallengärten mit ihrem Reichtum an Meereslebewesen: eine Armada an bunten Fischen, Anemonen und anderen Blumentieren des Meeres, Seesterne, Seeigel und Seegurken, auch Schildkröten. Die verzweigten und in sich verschachtelten Bauten der Korallentiere boten im Wasser einen ähnlichen, von vielgestaltigem Leben geradezu berstenden Anblick wie die Regenwälder an Land.
    Wer heute in die Bucht von Ambon kommt, wird von einer ausufernden, quirligen Stadt empfangen, die sich mit Straßen und Siedlungen bis an deren Nordrand erstreckt und der der Wald weichen musste. Die Korallengärten in der Bucht sind verschwunden, mit ihnen ihre einst zahllosen marinen Bewohner. Die Bachläufe, die vom Kamm der südlichen Halbinsel kommend in die inzwischen verschlammte Bucht münden, sind zur Kloake der Stadt geworden; sie tragen den Unrat und Müll der Menschen wie überall in Indonesien direkt ins Meer; entsorgt ist er damit nicht.
    Als Reisender wie als Denker stieß Alfred Russel Wallace in neue Regionen vor – Terrae incognitae voller Wunder und bis dahin der Wissenschaft unbekannter Arten. Längst ist jene Welt untergegangen, die Wallace Mitte des 19. Jahrhunderts sah und für die europäische Naturforschung entdeckte. Allerdings sind die Lebensräume und Lebewesen, die er besuchte und dort antraf, nicht – wie man vielleicht annehmen könnte – allmählich und kontinuierlich über anderthalb Jahrhunderte verloren gegangen. Der ungleich größte Raubbau ist allerjüngsten Datums. Die rücksichtslose und radikale Abholzung der artenreichen Regenwälder, die Anlage von endlosen und ewig gleichen Ölpalmplantagen und die Ausbreitung ausufernder Siedlungen allerorten ist das Werk einer einzigen, unserer Generation.
    Der Exodus der Natur in Singapur: Eine Ausnahme macht hier allein der Inselstaat Singapur, wo Wallace im April 1856 zuerst ankam und der Wald schon früh verschwand. Doch lässt sich gerade an Singapur ablesen, was geschieht, wenn wir Wallace’ Welt auch anderswo in der Fläche verlieren – ohne dass freilich gehofft werden darf, den singulären ökonomischen Erfolg dieses Stadtstaates wiederholen zu können. Aus der britischen Kolonie mit nur wenigen Hundert Bewohnern am Anfang des 19. Jahrhunderts sind mittlerweile mehr als viereinhalb Millionen Einwohner geworden. Der Urbanisation mussten mehr als 95 Prozent der einstigen die Insel bedeckenden tropischen Regenwälder weichen. Der großflächigen Abholzung und Entwaldung, der Jagdlust der Menschen und der unbändigen Entwicklung dieser Stadt ist etwa die Hälfte aller ursprünglich dort heimischen Arten zum Opfer gefallen; im Durchschnitt, denn bei einigen Gruppen wie den Süßwasserfischen und Säugern betragen die Verluste sogar 80 und 90 Prozent. Zuerst wurde der Wald für Kautschuk- und Pfefferplantagen, später für Straßen, Siedlungen, Hafen- und Industrieanlagen gerodet; auf der Strecke blieben immer mehr Lebewesen, denen damit ihr Lebensraum entrissen wurde. Nur verschwindend geringe 0,25 Prozent der Gesamtfläche Singapurs sind heute überhaupt noch Waldrelikte; doch in ihnen drängen sich

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