Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
brasilianischem Staatsgebiet liegen und immerhin 40 Prozent des weltweiten tropischen Regenwaldes ausmachen, beherbergen 60 Prozent aller Lebensformen des Planeten, so schätzen Experten. Auf einem einzigen Hektar Wald in Amazonien stehen bis zu 400 Baumarten, zehnmal mehr als in ganz Mitteleuropa.
Auf Satellitenaufnahmen ist die Zerstörung auch des brasilianischen Urwaldes deutlich sichtbar; hier fressen sich Sojafelder und Rinderweiden unaufhaltsam in den Wald, gleicht die Landschaft längst einem Flickenteppich. Seit 2001 haben sich die Agrarflächen Brasiliens um 21 Prozent ausgeweitet. Und das Tempo des Kahlschlags ist heute um 30 Prozent höher als noch vor acht Jahren. Auch das illegale Abholzen ist wieder deutlich gestiegen. Nachdem die Einschlagsrate zuvor stetig gesunken war, hat sie sich im Vergleich zu 2010 am Amazonas jüngst mehr als verdoppelt.
Im nordöstlichen Teil des Amazonasbeckens, dort wo der Regenwald zum heutigen Staat Ecuador gehört, liegt noch immer eines der größten zusammenhängenden Dschungelgebiete der Erde. Hier im Yasuní-Nationalpark ist die Artenvielfalt auf einem einzigen Hektar Wald so groß wie die von Mexiko, den USA und Kanada zusammen. Auch dieser Wald ist bedroht, weil darunterliegende Rohölvorkommen ausgebeutet werden sollen. Und Ecuador, eines der ärmsten Länder der Erde, droht der Verlockung der Erdölindustrie und den Gewinnen des Petrodollar zu erliegen, nachdem die originelle Idee des Staatspräsidenten, andere Nationen für den Erhalt des Waldes zahlen zu lassen, kaum Resonanz gefunden hat.
Weltweit werden also weiterhin jährlich 13 Millionen Hektar feucht tropischen Regenwalds verschwinden. Angesichts dieser Vernichtung der Natur sind bislang alle Bemühungen von Regierungen wie Nichtregierungsorganisationen nur Augenwischerei; egal, ob es um die Ausweisung bereits stark isolierter Restregenwaldtaschen geht, die sich nun kaum noch durch einen grünen Gürtel zum intakten Lebensraum für die Mehrzahl der Arten verknüpfen lassen, oder um staatliche Kontrollen, Handelsbeschränkungen oder um nachhaltige Nutzungskonzepte. Nichts hat das katastrophale Artensterben aufgehalten, die Entwicklung gebremst, gar den Trend umgekehrt.
Kahlschlag, Kohlenstoff, Klima – und am Ende der Mensch: Weil Wälder lokale Kohlenstoffspeicher sind, hat der Kahlschlag weitreichende globale Folgen – für uns alle. Die Abholzung am Amazonas und anderswo, ebenso die Brandrodung auf Borneo beschleunigen die Erwärmung der Erde, da sie Unmengen an Kohlendioxid freisetzen. Der Verlust der Wälder ist auch deshalb so katastrophal, weil er neben dem Verlust an Biodiversität zugleich für ein Viertel der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich ist. Ist das bloße Zahlenwerk der unwiederbringlichen Zerstörung der tropischen Regenwälder schon düster genug, mit dem Kohlenstoffzyklus verdunkelt sich die Zukunft vollends.
Nach den USA und China ist Indonesien der drittgrößte Verursacher von Treibhausgasen. Die beiden Weltmächte stoßen viel Kohlendioxid aus, weil sie viel Energie aus fossilen Brennstoffen verbrauchen. Das industriearme Indonesien dagegen stößt viel aus, weil es weiterhin rücksichtslos den Urwald rodet und verbrennt, um am Holz und Palmöl zu verdienen. Während vor allem in den europäischen Industrienationen mit Vorliebe darüber diskutiert wird, wie wir unsere eigenen Emissionen reduzieren, stellen Indonesien und Brasilien (wo am meisten Regenwald steht und zerstört wird) lieber finanzielle Forderungen, wie zukünftig andere sie für unterlassenen Raubbau entschädigen können. Auf den – letztlich auch deshalb gescheiterten – Klimakonferenzen der letzten Jahre sind Vertreter dieser beiden Länder mit hohen Erwartungen an Milliarden-Transfers in die Verhandlungen gegangen, die sie am liebsten sofort erhalten hätten. Erst haben sich korrupte Verantwortliche in der indonesischen Regierung jahrelang die Taschen durch Rodung der Wälder und Anlage von Plantagen vollgestopft, jetzt wollen sie über den Waldschutz und per Emissionshandel nochmals ans große Geld kommen. Derweil sehen sie ungerührt zu, wie der Raubbau an den Regenwäldern die biologische Artenvielfalt und die Lebensgrundlage nachfolgender Generationen zerstört sowie überdies massiv unser Klima verändert. Doch wir verlieren mehr als nur Urwälder, unberührte Natur und unsere Lebensgrundlage; wir verlieren auch unsere Humanität – das, was uns Menschen bisher ausmacht. Das jedenfalls
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