Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
als er seine spätere Frau kennenlernt. Alfreds Mutter, Mary Anne Greenell, entstammt einer respektablen Familie, alteingesessen in Hertford, in der Grafschaft Hertfordshire nahe London, wo ihr Urgroßvater mütterlicherseits zweimal Bürgermeister war. Mary Anne und Thomas Vere heiraten 1807; sie haben in regelmäßiger Folge fünf Töchter und vier Söhne. Alfred Russel Wallace ist das achte der neun Kinder – durchaus nicht ungewöhnlich damals, ebenso wenig wie die Tatsache, dass von diesen nur drei überhaupt bis zum Erwachsenenalter überleben. Nur Alfred soll, ähnlich wie seine Schwester Fanny (die 81 Jahre alt wird), mit seinen 91 Jahren ein nicht nur für die damalige Zeit ungewöhnlich hohes Alter erreichen.
Bei Alfreds Geburt hat sich die ökonomische Lage der Familie bereits erheblich verschlechtert. Weil er die Einnahmen seines privaten Vermögens als nicht hinreichend empfindet, lässt sich Thomas Vere Wallace zu gewagten finanziellen Unternehmungen überreden, die ihn und die Familie immer mehr in Schwierigkeiten bringen, als sie fehlschlagen. So gibt er etwa ein Literatur- und Kunstmagazin heraus, in das er beinahe sein gesamtes Geld steckt. Doch es wird alles andere als ein kommerzieller Erfolg; er verliert dadurch einen großen Teil seines Besitzes. Mit seiner wachsenden Familie ist er nun von London nach Usk in Wales gezogen, weil sich an kaum einem anderen Ort so günstig leben lässt. Usk befindet sich am Ostufer des gleichnamigen Flusses; auf der Westseite liegt Kensington Cottage, in dem Alfred geboren wird. Von dort führt die Straße südlich nach Llanbadoc, zur Kirche, in der Wallace am 16. Februar 1823 getauft wird, wie die Bücher vermerken. Und in diesen geht wohl jenes zweite »l« in Wallace’ Mittelnamen verloren, das ein entfernter Verwandter mütterlicherseits einst noch aufzuweisen hatte. Denn nach ihm, einem gewissen Richard Russell – diesmal mit doppeltem »l« –, wird Alfred benannt; einem Esquire oder hochwohlgeborenem Angehörigen des niederen Adels immerhin, wie Wallace später erwähnt (lesen wir da Stolz nur hinein?). Nur führt eben ein unerkannt gebliebener Schreibfehler in der Registratur von Usk dazu, dass wir ihn als Alfred Russel – mit nur einem »l« – kennen.
An seine Eltern und Familie, aber auch an andere Verwandte, so schreibt Wallace am Ende seines Lebens in seiner Autobiographie, habe er kaum mehr als vage Erinnerungen; wohl aber eine sehr plastische an die walisische Landschaft seiner Kindheit. So erinnert sich Wallace sein Leben lang an den reizvollen Weg, nicht mehr als eine Viertelmeile, der ihn über die dreiteilige Bogenbrücke in den Ort Usk führt. Schaut er den Fluss hinauf, kann er in der Ferne die Berge nahe Abergavenny, zehn Meilen entfernt, ahnen. Dort, so hat er gehört, beginnt das eigentliche Land der Waliser. In Usk sprechen die meisten Menschen eine andere Sprache als er, der englische Sprössling: das Walisische oder Kymrische – ein urkeltischer Dialekt in jedem Fall. Und da Wallace vergleichsweise hochgewachsen ist, vor allem langes flachsblondes Haar hat, nennen seine walisischen Nachbarn ihn »little Saxon«, den kleinen (sprich: jüngsten) Sachsen; als sei er ein direkter Nachfahre jenes germanischen Volkes aus der norddeutschen Tiefebene, das einst im Mittelalter auf die britischen Inseln kam und sich dort neben Kelten und Angeln niederließ. Hat sich bereits damals in Usk, im Grenzland zwischen Angelsachsen und Walisern, beim kindlichen Wallace ein feines Gespür für die Verschiedenheit menschlicher Volksgruppen und ihre unterschiedliche geographische Herkunft ausgeprägt? Ein Gespür, das ihn so viele Jahre später im indo-australischen Archipel bemerken lässt, wie Malaien und Papuas entlang einer unsichtbaren Linie miteinander in Verbindung treten.
Was sicher ist: Wallace’ walisische Kindheit findet weitgehend im Freien statt. Er verbringt die meiste Zeit des Tages entweder im großen Garten, in dem sein Vater selbst Gemüse und Obst für die wachsende Familie anbaut, entlang der Ufer des schnell fließenden Flusses Usk oder aber in den umliegenden Feldern und Wäldern. Im Fluss fangen sie kleine Fische, aalähnliche Neunaugen vor allem, die es dort offenbar massenhaft gibt und die sie gern essen. Die Kinder-Idylle endet, als Wallace kaum fünf Jahre alt ist und die vielköpfige Familie nach Hertford nördlich von London zieht. Nach dem Tod von Mary Annes Stiefmutter haben Wallace’ Eltern, die weiterhin kaum
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