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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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romantische Expedition; wer sie unternimmt und erfolgreich zurückkehrt, wähnt sich wie von einer Pilgerfahrt kommend. Für Wallace ist es der wichtigste Meilenstein seiner ganzen achtjährigen Unternehmung in Asien; zudem ein »capital sport«, ein kapitales Vergnügen und die gewinnbringendste Zeit aus mehreren Gründen. »Meine Expedition zu den Aru-Inseln war außerordentlich erfolgreich. …Und es ist bis heute dieser Teil meiner Reisen, auf den ich mit der vollkommensten Befriedigung zurückblicke«, so schließt er später dieses Kapitel seines Reiseberichts. Kein Wunder, denn trotz des wechselhaften Wetters, seiner zerstochenen Füße und anderer Krankheiten, die ihn tage- und wochenlang an das Haus fesseln, »nahm ich doch mehr als neuntausend Exemplare von Naturgegenständen aus ungefähr sechzehnhundert verschiedenen Arten mit mir fort«. Wohlgemerkt, in Zahlen: 9000 Tiere von 1600 Arten – Königs-Paradiesvögel und Papageien, Schnäpper, Schwalben und Würger, Erddrosseln und Tauben, dazu Kakadus, Kasuare und den Kuskus sowie Eidechsen und Schnecken und wenigstens 1360 Arten von Insekten, davon allein beinahe 600 Käfer und mehr als 200 Schmetterlinge, wie Wallace akribisch verzeichnet. Es ist kaum zu glauben, was ihm da gelungen ist; und er kann sich buchstäblich reich schätzen. Die gesamte Ausbeute, voll mit Raritäten und exquisiten Stücken, dürfte wenigstens 500 Pfund wert sein, überschlägt er. Nachdem er die Kisten mit der Aru-Sammlung an Stevens in London verschickt hat, verkauft dieser sie dort für das Doppelte – schätzungsweise 75000 Euro nach heutigem Wert.
    Gewinnbringend aber ist Aru nicht nur wegen der vielen Vogelbälge und der zahlreichen aufgespießten Schmetterlinge. Der Verkauf seines Aru-Materials erlaubt es Wallace auch, weitere fünf Jahre im indo-australischen Archipel zu bleiben und noch andere Inseln zu bereisen – weitere entscheidende Stationen auf seiner Reise zur Erkenntnis über das Geheimnis der Arten. Was Wallace jedoch in seinem späteren persönlich gefärbten Reisebericht nicht direkt erwähnt, ist vielleicht das wichtigste Ergebnis dieses Abstechers ans Ende des Archipels: Wie die vielen Eindrücke und Erfahrungen der Aru-Expedition in seinem Kopf zur Erkenntnis reifen, wie entscheidend die zahllosen Befunde und Beobachtungen für sein Denken in den folgenden Monaten werden. Denn ohne dass er es selbst realisiert, fügt die Reise zu den Aru-Inseln seinen theoretischen Arbeiten entscheidende Grundlagen hinzu. An die Abfassung dieser Arbeiten wird er sich unmittelbar nach seiner Rückkehr in Makassar machen. In schneller Folge formuliert Wallace hier wichtige Aufsätze, allen voran jenen über die Naturgeschichte der Aru-Inseln. Nachdem er sie an renommierte Fachjournale in London verschickt hat, erscheinen sie in den folgenden Monaten des Jahres 1857 und im schicksalhaften Jahr 1858. Darin lässt sich bis heute nachlesen, wie sich seine Theorie zum Ursprung der Arten schrittweise entwickelt – gleichsam wie von Insel zu Insel weiter nach Antworten suchend. Arten sind keineswegs konstant und jeweils vollständig unabhängige Schöpfungen, so ist Wallace inzwischen überzeugt; vielmehr entstehen neue Spezies allmählich – und jeweils in nächster Verwandtschaft zu bereits existierenden Arten. Und: was für die Entstehung von Tieren gilt, das gilt auch für den Ursprung des Menschen; daran besteht für Wallace kein Zweifel mehr. Als er kurz darauf von Makassar nach Ternate aufbricht, fehlt nur noch ein einziges entscheidendes Puzzleteil: Welches Prinzip treibt diesen Entstehungsprozess der Arten an?
    Die Reise zu den Aru-Inseln ist wahrlich ein Markstein, der ganz wesentlich zur Geburt der modernen Biologie beiträgt. Zwar hat Wallace auf Aru kein einzelnes Aha-Erlebnis, keinen jener Heureka-Momente, wie ihn eine legendenbildende Geschichtsschreibung vielleicht gern inszeniert sähe. Die neue Erkenntnis infiltriert sein Denken vielmehr allmählich, verdankt sich einer akkumulierenden Fülle einzelner Fakten und Befunde, die sich zu einem immer klarer erkennbaren Ganzen formt – einem theoretischen Gedankengebäude, für das die Tierwelt und Natur der Aru-Inseln einige der wichtigsten Bausteine liefern. Als Wallace die Inseln am Rande des Archipels verlässt, hat er eine Idee und eine Mission. Er wird sie bei der nächsten Gelegenheit umsetzen, während des schicksalhaften Besuchs der Gewürzinsel Ternate sechs Monate später und in Form eines Manuskripts,

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