Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
wissen, wie sie genug Geld fürs Leben zusammenbekommen sollen, im Geburtsort der Mutter Aussicht auf ein bescheidenes Vermächtnis. Viermal wird die Familie in den kommenden Jahren in Hertford selbst umziehen; die Ruhelosigkeit in Wallace’ Leben beginnt. Unauslöschlich in Erinnerung bleibt ihm indes, wie er kaum angekommen gleich am nächsten Morgen einen etwa gleichaltrigen Jungen kennenlernt, der ihm ein lebenslanger Freund sein wird. George Silk lugt neugierig über die Mauer, die den Garten der Häuser beider Familien trennt, und fragt: »Hallo! Wer bist du?« Er ist dazu auf die Mauer geklettert; Wallace tut es ihm gleich und es wird beiden zur Gewohnheit, dort auf der Mauer gemeinsam zu sitzen oder auf einer Seite herabzuspringen, um gemeinsam zu spielen. Mit ihm und seinem Bruder geht Wallace hier auch auf die Hertford Grammar School, bis er vierzehn ist. Es wird die einzige Zeit seiner formalen Ausbildung bleiben; in einem einzigen Klassenzimmer mit Schülern aller Altersgruppen. Er lernt, wenngleich mit vielen Mühen, sechs Jahre lang Latein, eine gute Grundlage, und für zwei oder drei Jahre Französisch, sodass er später immerhin leichte Lektüre auch in dieser Sprache meistern kann. An den Unterricht in Geographie und Geschichte wird er später nur schmerzliche Erinnerungen haben; dagegen fällt ihm Mathematik leicht, vor allem euklidische Geometrie und Algebra. Aber mehr noch als in der Schule, an die er sich als lästig und langweilig erinnert, lernt er von seinem vier Jahre älteren Bruder John; gemeinsam machen sie in jungenhafter Verschwörung den Garten hinterm Haus und vor allem einen alten Stall samt Hängeboden zu ihrem Reich.
Zwar reicht das Geld der Eltern für keinerlei Extravaganzen oder Luxus, aber im Rückblick empfindet Wallace diese Zeit in Hertford als die glücklichste seiner nicht eben lange währenden Kindheit und Jugend, Jahre voller interessanter und wertvoller Erfahrungen. Über sein Elternhaus wird er später schreiben, es habe einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen, dass es niemals ein rüdes, gar beleidigendes Wort oder Fluchen gab. Seine Eltern gehören der anglikanischen Kirche an. Als Kind besucht auch Wallace den Gottesdienst, doch der löst wenig religiöse Leidenschaft in ihm aus; eher findet er Gefallen an den leidenschaftlichen Hymnen. Tatsächlich ist auch für ihn der Kirchgang bald nicht mehr als ein soziales Ritual; später steht er religiösen Dingen eher skeptisch gegenüber, doch soll sich seine atheistische Haltung später ändern (Wallace ist in den 1840er-Jahren, mit Anfang zwanzig, im Kern seiner Überzeugung agnostisch; der Begriff indes wird erst 1869 eingeführt werden). Andere gesellschaftliche Tendenzen seiner Zeit, darunter insbesondere sozialistisches Denken und die Bildung der Massen, interessieren Alfred Russel Wallace wie auch seine Brüder William und John in dieser Zeit weitaus mehr als die Doktrinen der Kirche.
Statt Schule oder Kirche verdankt Wallace seine Erziehung eher der väterlichen Fürsorge. Thomas Vere Wallace hilft in der örtlichen Bibliothek und ist Mitglied eines Buchclubs, sodass die Familie immer mit Büchern versorgt ist. Alfred verbringt mit ihnen viel Zeit, wenn er nicht im Garten unterwegs ist oder dort seinem Vater hilft. Aufmerksam hört er diesem auch zu, wenn er seiner Familie allabendlich vorliest, aus einer breiten Palette damals gängiger und beliebter Bücher. Neben Klassikern, Lyrik und natürlich Bildergeschichten liebt Alfred – durchaus nicht ungewöhnlich – vor allem die Erzählungen von Reisen in ferne Länder (wer tat das in seinem Alter nicht?), angefangen bei »Gullivers Reisen« und »Robinson Crusoe« bis hin zu Mungo Parks Reisebericht. Tatsächlich erfahren wir aus seiner Autobiographie zwar recht detailliert von all jenen Spielen, die sie einst als Schüler in ihrer Freizeit spielten, kaum dagegen etwas über den Unterricht und was er in der Schule lernte. Dennoch können wir vermuten, dass Alfred Russel Wallace durchaus ein guter Schüler ist; denn in seinem letzten Schuljahr hilft er dabei, den Jüngeren Nachhilfe in Lesen, Schreiben und Arithmetik zu erteilen. Allerdings fühlt sich Wallace in dieser herausgehobenen Position mehr als nur unwohl; noch Jahrzehnte später, so erzählt er in der Autobiographie, habe er von dieser für ihn so unangenehmen Situation geträumt. Er ist als Jugendlicher noch schüchterner als im Erwachsenenalter. Immerhin kann er durch diese Form der Nachhilfe das
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