Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
Nirgends jedoch findet sich in seinem Bericht ein Hinweis auf die Frage, die ihn zu dieser Zeit bereits beschäftigt – danach, wie Arten entstehen. Wallace’ Bericht seiner Reise am Amazonasstrom und Rio Negro (der 1855 auch auf Deutsch erscheint) wird kaum beachtet; heute ist er so gut wie vergessen. Zwar knüpft er damit an die Berichte so berühmter Vorgänger wie Humboldt und Darwin an, ihm fehlt aber noch die später von ihm so perfekt beherrschte Technik, in eleganter und eloquenter Weise naturkundliche Theorien und Überlegungen mit einer persönlichen Schilderung seiner Reisen zu verweben. Immerhin ist es sein erster Versuch als Reiseschriftsteller und Naturkundler. Vor allem aber verhilft das Buch ihm zu einiger Aufmerksamkeit und zu wichtigen Kontakten.
Mitte Juni 1853 präsentiert er bei der Royal Geographical Society seine Arbeit samt Karte über den Rio Negro. Unter den aufmerksamen Zuhörern ist auch der Präsident der Gesellschaft, Sir Roderick Murchison. An ihn wendet sich Wallace mit der Bitte, eine weitere Reise zu unterstützen. Denn inzwischen steht für Wallace fest: Wenn er erreichen will, weshalb er vor Jahren an den Amazonas reiste, dann muss er sich jetzt nochmals aufmachen. Es gehört jedoch zu den gern gepflegten Legenden, dass sein Ziel schon unverrückbar feststeht. Dass er jedoch tatsächlich in den indo-australischen Archipel reist, verdankt er letztlich doch wieder glücklichen Umständen. Denn das erste Schiff gen Asien verpasst Wallace, der daran nicht ganz unschuldig ist, weil er sich da auf dem Weg in die Schweiz befindet; dann will er zwischenzeitlich sogar nach Ostafrika. Aber der Reihe nach.
Neue Reisepläne: »Seit ich aus Pará abgereist bin, habe ich mir fünfzig Mal geschworen, dass ich mich nie mehr dem Ozean anvertrauen werde, falls ich England je wieder erreiche. Aber die guten Vorsätze waren schnell vergessen«, berichtet Wallace einem Freund, kaum dass er aus Südamerika zurück wieder festen britischen Boden unter den Füßen spürt. Während er in nur wenigen, indes überaus produktiven Monaten, die angefüllt sind mit angestrengter Arbeit, mehrere Abhandlungen fertigstellt, nehmen Wallace’ Reisepläne konkrete Gestalt an. Sollen die Anden oder Asien, vielleicht die Philippinen, das Ziel seiner nächsten Wanderungen werden, überlegt er. Kaum der Gefahr entronnen, ist er mit den Gedanken schon wieder in entfernten Gebirgen und auf abgelegenen Inseln unterwegs. Als Naturaliensammler hat er sich auf Reisen in tropischen Ländern bewährt. Als solcher nochmals aufzubrechen, würde ihm am ehesten ein Leben sichern, wie er es sich vorstellt: ungebunden und unabhängig, sein eigener Herr. Je reicher an Arten ein Gebiet, desto mehr kann er sammeln; und je abgelegener die Region und je unbekannter die dort lebenden Tier- und Pflanzenarten, desto besser seine Chancen, umso größer der Verdienst. Die neue Expedition soll ihm indes nicht nur Geld einbringen. Wallace ist unverbesserlich und hartnäckig; er ist nach wie vor versessen darauf, die große Artenfrage zu klären. Tatsächlich weiß kaum jemand davon, welche Lösung Charles Darwin in Downe längst gefunden hat, da der dazu beharrlich schweigt.
Wallace besucht regelmäßig die Treffen der gelehrten Gesellschaften und schaut sich in den Insekten- und Vogelsammlungen des Britischen Museums um. Bald erscheint die malayische Inselwelt als das lohnendeste Reiseziel für einen forschenden und sammelnden Naturkundler wie ihn; wunderbar reich an Arten und dabei noch beinahe ausnahmslos wenig bekannt und besucht. Für einen Naturaliensammler, der vom Erlös seine Reise finanzieren und auch später davon leben will, ist dies neben der Artenvielfalt eindeutig das wichtigste und letztlich lukrativste Kriterium überhaupt. Wallace weiß, dass Bates und andere Sammler in Südamerika unterwegs sind, die dort sicher nicht auf ihn warten. Er muss anderswo sein Glück versuchen. Im Februar 1853 hört Wallace bei der Zoologial Society in London einen anregenden Vortrag von George Windsor Earl zur Tierwelt der malayischen Halbinsel (er wird uns später noch begegnen). Im März trifft er mit Sir James Brooke zusammen, der erst unlängst zum »Weißen Raja« von Sarawak wurde, dem Herrscher von britischen Gnaden über den Norden Borneos. Brooke schwärmt ihm von Asien vor, bietet ihm seine Unterstützung an, sollte er in Sarawak etwa nach dem geheimnisvollen Waldmenschen, dem Orang-Utan, suchen wollen. Eine Einladung mit Folgen –
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