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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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Untätigkeit verdammten, über das eigenartige Vorkommen verschiedener Heliconius unterhalten – und dabei einmal mehr die Frage nach der Entstehung immer wieder ähnlicher, aber nicht gleicher Arten diskutiert. Die Spekulationen des anonymen Autors der »Vestiges« und dessen Entwicklungstheorie gingen Wallace nie aus dem Kopf. Seine Beobachtungen in den folgenden Monaten und Jahren zeigen ihm, dass Tiere und Pflanzen tatsächlich ihre Grenzen haben; zuallererst in räumlicher Hinsicht.
    Wallace fällt auf, wie örtlich begrenzt das Vorkommen einzelner Arten am Amazonas ist und dass nahe verwandte Arten an verschiedenen Ufern oder Abschnitten im großen Amazonas-Flusssystem vorkommen. Bei den Heliconiden, so stellt er fest, »haben sämtliche Gruppen in außerordentlich reicher Zahl nächstverwandte Arten und Varietäten hervorgebracht, die sich deutlich voneinander unterscheiden und die jede für sich nur in einem eng umgrenzten Gebiet vorkommen«. Es ist ein Schlüsselsatz. Und ein frühes Zeugnis dafür, dass er spätestens hier in London auf dem richtigen Weg ist – um nicht zu sagen, dass er Darwin bereits auf den Fersen ist (den er in dieser Zeit erst noch kennenlernen soll). Bei immer mehr Arten, bei Schmetterlingen ebenso wie Affen und Vögeln, findet Wallace solch ein Muster bestätigt. Überall sieht er nun, dass regelmäßig die miteinander nächstverwandten Arten auch am nächsten benachbart sind. Diese Erkenntnis setzt sich in seinem Kopf fest; es wird der Kerngedanke seines später auf der Insel Sarawak formulierten Naturprinzips werden, das ihn zur Evolutionstheorie führt.
    Obgleich seine Überlegungen kaum mehr als versteckte Hinweise und allenfalls Randbemerkungen in diesen frühen Abhandlungen sind, rümpften einige Mitglieder in den Gelehrtenzirkeln Londons bereits die Nase über ihn. Wie könne sich dieser Naturaliensammler, der er doch nur sei, aufschwingen, in ihren Kreisen haltlose Spekulationen über das Walten eines göttlichen Schöpfers bei der Verteilung der Lebewesen von sich zu geben und damit Lehren anzuzweifeln, deren Richtigkeit doch Generationen der besten Geistesgrößen versichern. Andere aber nehmen Wallace ausdrücklich in Schutz. Man solle ihn doch nicht als »bloßen Sammler« abtun, um ihm den Respekt zu versagen, vielmehr seine Überlegungen gründlich prüfen wie die anderer Naturforscher auch. Wallace indes weiß, dass er längst noch nicht zu ihresgleichen zählt. Seine Amazonas-Reise, so abenteuerlich und anregend sie auch für ihn gewesen sein mag, war nicht ertragreich genug, um ihm jene Anerkennung zu sichern, nach der er strebt. Und das große Rätsel der Artenfrage war noch ebenso ungelöst wie vor seinem Aufbruch in die südamerikanischen Tropen.
    Wallace wertet also weiter seine Aufzeichnungen aus, die er glücklich vor dem Feuer auf der »Helen« retten konnte. Von den Fischen, die er am Rio Negro fing und mit Bleistift zeichnete, hat er etwa zweihundert Skizzen. Er gibt sie an das Britische Museum für Naturgeschichte, wo sie nach seinem eigenen Bekunden aber erst Jahrzehnte später verwendet werden, als der zuständige Kurator etwa einhundert neue Fischarten aus Amazonien beschreibt. Wallace selbst veröffentlicht nur eine kurze Notiz dazu; und erst am Ende seines Lebens fügt er seiner Autobiographie ein halbes Dutzend dieser Bleistiftskizzen bei; zur Anschauung, wie er schreibt. Für eine solide zoologische Veröffentlichung fehlen ihm die eigentlichen Objekte, die auf dem Atlantik in Flammen aufgingen. Ein Grund mehr, seinen Verlust zu beklagen; zumal er jetzt in London auf peinliche Weise erfahren soll, dass es ohne Anschauungsmaterial in der Naturkunde eben nicht recht geht. Damit sind wir bei der Palmen-Episode.
    Ein »peinliches« Buch über Palmen und der »absurde« Amazonas-Bericht: In jener Blechschachtel von der »Helen« rettet Wallace auch seine sorgfältig ausgeführten Skizzen von Palmen, denen er am Amazonas begegnet ist und für die er vor allem als einer der Ersten notiert, wie die Indianer die verschiedenen Teile dieser ebenso eindrucksvollen wie lebenswichtigen Pflanzen nutzen. Aufzeichnungen über immerhin 48 Palmenarten trägt Wallace zusammen und veröffentlicht 1853 auf eigene Kosten sein kleines Büchlein »Palm Trees of the Amazon and Their Uses«, illustriert durch Lithographien seiner im Gelände angelegten Zeichnungen. Es ist das erste Mal, dass jemand eine Art populären Bestimmungsführer für eine bestimmte Pflanzengruppe

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