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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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verbringt Weihnachten mit dem Raja, der sich an der gepflegten Unterhaltung mit dem klugen jungen Engländer erfreut.
    Die Themen ihrer abendlichen und anregenden Gespräche seien »entweder philosophischer oder religiöser Natur« gewesen, erinnert sich Wallace später. Wie er selbst, schätzt auch James Brooke ein »good argument«, die gepflegte Diskussion. Dessen Offenheit und Direktheit macht Wallace mutig, und er beginnt sogar, über seine bis dahin geheimen Gedanken zu reden. Beide stellen fest, dass sie vor geraumer Zeit bereits die »Vestiges« mit größtem Interesse gelesen haben, jenes kuriose Buch des – damals noch anonymen Autors – Robert Chambers. Ein Exemplar besitzt der Raja in seiner Bibliothek in Sarawak, wie wir wissen. Jetzt ist es Gegenstand vieler Gespräche zwischen Wallace und Brooke, über die sein Sekretär und Biograph uns berichtet. Wallace will seinen zögerlichen Gastgeber gern vom Gedanken einer Entwicklung der Arten überzeugen, was ihm allerdings nicht gelingt. Brooke verteidigt den Schöpfungsglauben; vor allem mag er nicht zugestehen, dass sogar der Mensch zu diesem Reich sich wandelnder und verändernder Tiere gehören soll, wie Wallace ihm darlegt. Dann wären wir ja mit den Affen verwandt, protestiert er; oder schlimmer noch, wir hätten gemeinsame Vorfahren mit den haarigen Vettern aus dem Wald; nicht vorstellbar für einen Engländer aus bestem Haus. James Brooke ist schockiert und indigniert. Was Naturkunde angeht, ist er höchst interessiert und offen; aber nun geht Wallace wirklich zu weit. Und gerade bei den Menschenaffen kennt sich Brooke aus; er hat selbst bereits 1841 eine kleine Abhandlung über den »Waldmenschen« verfasst; den Orang-Utan oder »Mias«, wie er bei den in Sarawak einheimischen Dayaks heißt.
    Zwar wird Wallace Brooke nicht davon überzeugen, dass Menschenaffen Vorfahren des Menschen sind. Aber die abendlichen Diskussionen mit dem »Weißen Raja« stimulieren ihn. Kurze Zeit später erkrankt er an Malaria. Zur Erholung bietet Brooke ihm sein kleines Haus in Santubong an der Mündung des Sarawak an. Nur ein malayischer Koch, Ali, den Wallace inzwischen angeheuert hat, ist bei ihm. Vom Fieber und Regen an das Haus am Fluss gefesselt, hat Wallace viel Zeit, in Ruhe über die Unterhaltungen mit dem Raja nachzudenken und über jene Frage, die ihn seit der Amazonas-Reise ständig beschäftigt, die ihm genau genommen schon seit einem Jahrzehnt nicht mehr aus dem Kopf geht, seit er in Leicester von Chambers’ Entwicklungstheorie gelesen hat. Arten sind nicht konstant, sie verändern sich. Gut, aber wie kann man das zeigen? Wie entstehen sie und wie entwickeln sie sich? Hat er da nicht gerade erst in einem der von Stevens nachgeschickten Magazine aus London einen Artikel zu diesem Thema gesehen? Wallace kramt in seiner Post und seinen Papieren. Tatsächlich, da ist er, der Abdruck eines Vortrags, den ein gewisser Edward Forbes vor der ehrwürdigen Royal Geological Society in London gehalten hat, deren Präsident er ist. Forbes ist Professor für Botanik am King’s College in London und interessiert sich vor allem für Meeresbiologie. In jedem Fall ist er ein entschiedener Anhänger der Schöpfungslehre und argumentiert für einen göttlichen Plan in der Ordnung der Natur. Was Wallace da liest, regt seinen Widerspruch – mehr noch als jedes mit Überzeugung vorgetragene Argument während der Diskussionen mit dem Raja, die er gerade erst geführt hat. Der Artikel von Forbes macht ihn regelrecht wütend ob der offenkundigen Argumentationslücken, die sich darin auftun. Nein, denkt Wallace, so wie Forbes sich das denkt, kann es beim besten Willen nicht gewesen sein; so kann es in der Natur nicht zugehen. Und so wird ein Artikel, der ansonsten wohl eher in Vergessenheit geraten wäre, zum Auslöser des sogenannten Sarawak-Essays von Alfred Russel Wallace. Manchmal ist mithin selbst Unfug zu etwas gut. Forbes stirbt übrigens kurze Zeit nach der Veröffentlichung seines Vortrags – und verpasst so eine Kette von Ereignissen, die mit seiner irrigen Theorie ihren Anfang nehmen.
    »Komplett absurd« – die Theorie des Edward Forbes. Oder: Wie Wallace ein Naturgesetz entdeckt: Dass Wallace’ Sarawak-Artikel eine Erwiderung auf Forbes’ Vortrag ist, bleibt niemandem verborgen, der seinen Aufsatz liest. Denn dieser lässt kein gutes Haar an dessen Theorie. Lange haben Wissenschaftshistoriker nach einer Erklärung gesucht, warum Wallace überhaupt im Februar 1855

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