Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
angefertigten Karte des Archipels markiert er die ausgeprägte Faunenscheide mit einer roten Linie: Thomas Henry Huxley bezeichnet sie erstmals 1868 nach ihrem Entdecker als »Wallace-Linie«. Tatsächlich werden Wallace’ Überlegungen zur Abgrenzung ganzer Faunen später zur Geburtsstunde der Biogeographie werden.
Genau genommen markiert die Entdeckung der Wallace-Linie den Beginn einer »evolutionären« Biogeographie. Denn es ist weder Zufall, dass Wallace ausgerechnet mitten im Archipel zu dieser Erkenntnis gelangt, noch dass es gerade zu dieser Zeit passiert – kaum mehr als ein Jahr nach dem Sarawak-Aufsatz und ebenso lange vor seiner wichtigsten Arbeit zur Entwicklung des Lebens. Wallace verknüpft das geographische Studium zur Verbreitung von Lebewesen untrennbar mit der Lösung der Artenfrage. Über die kommenden Monate und Jahre, die er weiter von Celebes nach Aru und zu den Gewürzinseln unterwegs ist, wird er diesen Zusammenhang von Evolution und Biogeographie immer mehr bestätigt finden. »Wenn wir einen Blick auf die Karte des Archipels werfen, so scheint nichts unwahrscheinlicher, als dass die eng verbundene Inselkette von Java bis Timor in ihren Naturprodukten wesentliche Verschiedenheiten zeigen sollte. Allerdings sind gewisse Unterschiede im Klima und in der physischen Geographie zu konstatieren, aber diese entsprechen nicht der Teilung, welche der Naturforscher zu machen sich genötigt sieht«, wird er später in seinem Reisebericht zusammenfassen. »Keiner dieser physischen Unterschiede aber entspricht der bemerkenswerten Veränderung der Naturprodukte, welche an der Lombok-Straße, welche die Insel dieses Namens von Bali trennt, stattfindet und welche sogleich von so bedeutendem Belang und von so fundamentalem Charakter ist, dass sie ein gewichtiges Charakteristikum der zoologischen Geographie des Erdballes ausmacht.«
Wallace erkennt, dass sich aus dem geographischen Vorkommen einzelner Tiere auch die Entwicklung der Arten verstehen und erklären lässt. Es ist durchaus keine banale Einsicht. Denn wo auf der Welt eine bestimmte Art vorkommt, ist nicht das Ergebnis übernatürlicher Kräfte und der Wille eines göttlichen Schöpfers, davon ist Wallace überzeugt. Vielmehr ist es das Ergebnis natürlicher Vorgänge um das Entstehen und Vergehen von Lebewesen. Viele Entdecker und Naturforscher vor ihm hatten bemerkt, dass sie in den unterschiedlichen Regionen der Erde – auf einzelnen Kontinenten, an bestimmten Küsten und auf Inseln – stets eine jeweils eigene und charakteristische Tier- und Pflanzenwelt antrafen. Je mehr der Globus umrundet und erkundet wurde, je mehr Vorkommen der Fauna und Flora studiert wurden, desto mehr festigten sich solche Beobachtungen zu einer unumstößlichen Tatsache: Bestimmte Tiere und Pflanzen leben nur an bestimmten Orten der Erde. Pinguine gibt es nur in antarktischen Gefilden, Eisbären nur am Nordpol – und keinesfalls umgekehrt; Albatrosse leben in südpolaren Regionen, Alken in nordpolaren Gewässern. In Australien gibt es Kängurus und Kakadus, aber keine Kojoten und Kondore wie in der Neuen Welt. Doch warum das so ist, blieb lange ein Rätsel. Natürlich vermutete man, dass die jeweiligen Lebensbedingungen verantwortlich sein mussten. Doch selbst wenn an zwei weit voneinander entfernt liegenden Orten gleiche klimatische Verhältnisse herrschen, gibt es erhebliche Unterschiede bei den jeweils dort vorkommenden Tieren und Pflanzen. Wallace’ Feststellung von zwei großen, voneinander abweichenden Faunenregionen, die mitten im Archipel zusammentreffen, wirft ein ganz neues Licht auf die Naturgeschichte der Arten allgemein.
Allerdings wird weder zu Lebzeiten Wallace’ noch lange nach ihm bemerkt, dass schon zuvor der aus Deutschland stammende, aber in holländischen Diensten stehende Naturforscher Salomon Müller solch eine Faunenscheide beschrieben hat. Er nannte sie sogar ganz ausdrücklich einen »Übergangsstrich, der das ostindische Inselreich in zwei ungleiche Hälften teilt«. Lange wusste Wallace offenbar nichts von den beiden Arbeiten Müllers, die 1842 und 1846 auf Deutsch und Holländisch erschienen (was schon damals beides kaum förderlich war, wenn viele andere Forscher davon Kenntnis erlangen sollen); nur einmal wird er Müller später in anderem Zusammenhang in seinem Reisebericht kurz erwähnen. Ebenso wenig kennen sie die meisten anderen Zoologen, die fortan stets nur von Wallace’ Linie sprechen. Zwar hat einer von ihnen einmal
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