Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Sicht.
    Anfangs hat er kaum Augen für die malerische Szenerie. Erst das monatelange Warten in Singapur; und jetzt geht es von hier auch erst einmal nicht weiter, zu unstet sind die Schiffsverbindungen im Sommer 1856. Niemand kann mir sagen, wann ich die nächste Passage weiter nach Osten bekomme, denkt er mürrisch. Er sieht hinüber über das goldglitzernde Meer zum Agung, dessen perfekter Vulkankegel, ins Gegenlicht getaucht, sich als dunkles Dreieck vor dem Dunst der Ferne abhebt. Wie Rauch weht eine kleine Wolke um seine Spitze. Gerade einmal fünfundzwanzig Kilometer ist die Meeresstraße nach Bali hier breit. Zwei Tage hat es indes gedauert, bis sie um die Nordküste der Insel herum hierher nach Lombok gesegelt sind. Nur zwei Tage war er überhaupt dort; in dieser anderen Welt mit den malerischen und gepflegten Reisterrassen, mit den balinesischen Tempeln, dem hinduistischen Kult der Einheimischen, mit ihren reich verzierten Kris-Dolchen, die sie stolz tragen. Hier, diesseits der Meerenge, sind sie dagegen überwiegend Moslems. Er hätte länger auf Bali bleiben sollen, aber das Schiff fuhr bald schon weiter, und man sagte ihm, von Ampanam aus sei es leichter, eine Passage nach Makassar zu finden.
    Genauso gut kann er auch hier in Lombok auf die Jagd gehen, während er auf einen Segler nach Celebes warten muss. Im Süden der Insel soll das Land nicht so kultiviert sein, dort will er es für eine Woche versuchen. So lässt er sich einen Tag lang in einem Auslegerkanu nach Labuan Tring zum Südende der Bucht rudern, geht auf Schmetterlingsfang, jagt Vögel und sammelt alles, was naturkundlich interessant ist. Stets ist Wallace ein aufmerksamer Beobachter und offen für neue Eindrücke. Die hat Lombok reichlich zu bieten. Ständig lärmen weiße Kakadus um ihn herum, ebenso auffällig die Honigsauger, von denen er bereits wenigstens drei Arten sah. In der dichten Vegetation fallen ihm einige etwa haushuhngroße Vögel auf. Es sind orangefüßige Reinwardthühner (Megapodius reinwardt), weitverbreitet auf zahlreichen Inseln im östlichen Archipel; sie kommen bis in den Südwesten Neuguineas und den Nordosten Australiens vor. Diese Großfußhühner tragen sonderbare, mehr als einen Meter hohe Laubhaufen zusammen, die sich die Einheimischen nicht recht erklären können. Schnell findet Wallace heraus, dass die Weibchen darin ihre Eier durch die Wärme ausbrüten lassen, die durch das verrottende Pflanzenmaterial entsteht. Später, auf einer der Gewürzinseln weiter östlich, wird Wallace sogar eine neue Art entdecken, die nach ihm Megapodius wallacei benannt wird. Nirgendwo westlich von Lombok kennt man diese eigentümlichen Hühnervögel. Bereits nach wenigen Tagen auf der Insel ist Wallace klar: Hier gibt es eine erstaunliche Anzahl von Vögeln, die ihm aus den westlich gelegenen Regionen des Archipels unbekannt sind. »Vögel sehr interessant«, kritzelt er noch unterwegs in sein Notizbuch. »Sehen aus wie australische Formen. Gehen nicht weiter nach Westen.« Andererseits fehlen auf Lombok die Nashornvögel und Fasane, die Trogone und Timalien, die Bülbüls und Breitrachen, die er aus Borneo und den Wäldern im Westen kennt.
    Merkwürdig kommt Wallace das vor: »Während der wenigen Tage, welche ich an der Nordküste von Bali auf meinem Weg nach Lombok zubrachte, sah ich verschiedene für die Vogelwelt im westlichen Archipel höchst charakteristische Vögel.« Darunter waren ihm so bekannte Arten wie die gelbköpfigen Webervögel, die schwarze Grashüpfdrossel oder Pitta, der malayische Pirol, der rosige Bartvogel, der javanische Erdstar und der dreizehige Specht. »Auf der Insel Lombok, die durch eine Meeresenge von weniger als zwanzig Meilen Breite von Bali getrennt ist, erwartete ich natürlich, einige dieser Vögel wiederzutreffen; aber während meines dreimonatigen Aufenthalts daselbst sah ich niemals einen derselben, sondern fand eine total verschiedene Reihe von Arten, von denen die meisten nicht nur auf Java äußerst unbekannt waren, sondern auch auf Borneo, Sumatra und der Halbinsel Malaka.«
    Nicht wenige Naturforscher – darunter neben Forster, Humboldt und Chamisso auch Darwin und Hooker ebenso wie Huxley und Bates – haben ihre großartigen Karrieren mit großen Reisen begonnen, während deren ihnen bedeutende Entdeckungen gelangen. Hier, just jenseits der schmalen Meeresenge zwischen Bali und Lombok, gelingt auch Alfred Russel Wallace eine solche Entdeckung. Sie wird für immer mit seinem Namen