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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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Inseln unbekannt sind.« Einigermaßen verblüfft registriert Wallace, wie zwischen diesen beiden nahe benachbarten Inseln die Organismenwelt offenbar fast vollständig wechselt. Nicht bloß einzelne Arten sind anders; vielmehr lösen sich ganze Gattungen und Familien, ja sogar Ordnungen ab. Auf Lombok sieht er weder Affen wie auf Bali und Borneo noch große Katzen oder Nagetiere. Es sind die größten faunistischen Unterschiede, überlegt er; und das über eine so vergleichsweise geringe Distanz hinweg. Höchst eigenartig und bemerkenswert. Warum ist das noch niemandem vor ihm aufgefallen?
    »Auf diesem Archipel gibt es zwei deutlich umschriebene Faunen, die sich so auffällig voneinander unterscheiden wie die Afrikas von der Südamerikas und deutlicher als die Europas von der Nordamerikas, aber da gibt es nichts auf der Landkarte oder in der Insel-Topographie, das ihre Grenzen markiert«, schreibt Wallace später. Tatsächlich könnte sich niemand markantere Unterschiede in der Tierwelt ausdenken, die südostasiatischen Arten und Tiergruppen auf der einen Seite, die australischen auf der anderen Seite. Und die reine Entfernung spielt dabei offenkundig keine Rolle. Kann es so schwer sein, von Bali nach Lombok zu schwimmen, oder für Vögel und Schmetterlinge, in umgekehrter Richtung hinüberzufliegen? Doch scheinen die Faunen hier beinahe wie mit einem Messer zerschnitten. Es sind die Endpunkte zweier großer zoologischer Abteilungen, denkt Wallace, und wenn die Inseln auch »im äußeren Ansehen und in allen Punkten ihrer physischen Geographie einander sehr ähnlich sind, so differieren sie doch bedeutend hinsichtlich ihrer Naturgeschichte«. Die schmale Meeresstraße zwischen Bali und Lombok markiert eine regelrechte Faunenscheide. Es sind verschiedene Welten, die hier aneinanderprallen.
    Wo Welten aufeinanderstoßen – die »Wallace-Linie«: Was hat es auf sich mit ausgerechnet dieser Meeresstraße? Sie ist eigenartig in mehr als einer Hinsicht. Schmal und eher unscheinbar angesichts jener Kette kleinerer Sundainseln, die sich jenseits von Sumatra und Java bis Timor im Osten erstrecken und Asien beinahe mit Australien verbinden. Auf einer Karte würde man es nicht einmal ahnen. Wenn sich aber die Beschaffenheit der beiden Inseln Bali und Lombok so gut wie nicht unterscheidet, muss die Ursache für diesen schlagartigen Wechsel der Fauna anderswo liegen, grübelt Wallace. Sind es doch alles einzigartige Schöpfungen, jede Tierwelt für sich? Aber warum dann eine Schöpfung hier, eine andere dort? Nein, diese scharfe Trennung muss andere Ursachen haben.
    Wallace lässt die Frage nicht mehr los. Achtundsechzig Vogelarten findet er auf Lombok, von denen es zwanzig nirgendwo weiter westlich gibt. Sie kommen entweder auf anderen Inseln im Osten des Archipels vor oder sind gänzlich neue Arten, überlegt er. Zurück in Ampanam wertet er sein Notizbuch aus und berichtet Ende August 1856 in einem Brief an Samuel Stevens über dieses verblüffende Phänomen. »Die Vögel werfen ein helles Licht auf die Gesetze der geographischen Verbreitung der Tiere im Archipel«, beginnt Wallace die entscheidende Passage seines Schreibens, das im Jahr darauf in dem Journal »The Zoologist« abgedruckt wird; es wird das erste schriftliche und publizierte Zeugnis seiner Entdeckung. »Die Inseln Bali und Lombok, obgleich von nahezu gleicher Größe, mit gleichem Boden, Aussehen, Erhebung und Klima, zudem in Sichtweite voneinander, unterscheiden sich dennoch beträchlich in ihren Naturprodukten; und tatsächlich gehören sie zwei sehr distinkten zoologischen Provinzen an.« Im Gedanken zieht Wallace hier erstmals diese faunistische Demarkationslinie und beschreibt sie, als ob er sie bereits vor sich eingezeichnet auf einer Karte des Archipels sieht. Sie wird von fundamentaler Bedeutung für seine weiteren Überlegungen werden.
    Diese Beobachtungen an der Vogelwelt von Bali und Lombok wiederholt Wallace in zahlreichen Beschreibungen, die uns die allmähliche Synthese seiner Erkenntnis zeigen. Ein Jahr später kommt er auf diese Trennlinie auch in seinem Bericht über die Aru-Inseln zu sprechen. Darin legt er ausführlich dar, dass auch viele andere Lebewesen im Insel-Archipel jeweils auf bestimmte, oft nur eine oder einige wenige Inseln begrenzt sind. Diese geographische Verteilung der asiatischen und australischen Tierwelt erzählt von der Vergangenheit und von der Verwandlung dieser Arten, vermutet Wallace. Auf einer eigens dafür von ihm

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