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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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welches Motiv sollte es denn da geben? «

    »Wenn ich das wüßte, hätte ich den Täter.«
    »Gibt es hier irgendwo ein Irrenhaus? Oder ein Gefängnis? Vielleicht ist jemand ausgebrochen, oder …«
    »Mrs. Wahlberg, ich will Sie nicht beunruhigen. Natürlich können wir es hier mit einem Täter von außen zu tun haben. Aber eine Erfahrung habe ich während meiner Tätigkeit als Polizeibeamter immer wieder gemacht: Bis auf den klassischen Fall der im nächtlichen Park vergewaltigten Frau oder des Raubmordes in der Tiefgarage oder ähnliches hat sich bei den meisten Verbrechen am Schluß herausgestellt, daß die Täter innerhalb der Familie oder des Freundeskreises zu suchen waren. Selten war das Opfer zufällig ausgewählt worden. Es gab eine Vorgeschichte, die, kannte man sie erst einmal, geradezu zwangsläufig auf die Tragödie hingeführt hatte.«
    Ihre Kehle wurde eng. Sie hatte ganz normal sprechen wollen, aber ihre Stimme war nur ein Flüstern. »Sie meinen … es war einer von uns?«
    »Ich versuche, mir meinen Blick nicht durch irgendeine vorgefaßte Meinung trüben zu lassen. Deshalb meine ich in diesem Stadium noch gar nichts. Aber ich schließe auch nichts aus.«
    Wieder hatte sie den Eindruck, daß er nicht ganz aufrichtig war, aber sie war zu deprimiert und erschöpft, um nachzufragen, und überdies hätte er ihr kaum eine ehrliche Antwort gegeben. Sie hatte brennenden Durst, wie sie plötzlich bemerkte, und ihr war leicht übel. Sie sehnte sich danach, allein zu sein, eine Tür hinter sich zumachen zu können, sich zwischen kühlen Bettlaken auszustrecken. Sie sehnte sich danach, begreifen zu können, was geschehen war. Sie sehnte sich danach, zu weinen.
    »Sie verstehen sicher, daß Sie nicht hier im Haus bleiben können«, sagte Norman. »Es wird eine Weile dauern, bis die Spurensicherung ihre Arbeit beendet hat und wir danach alles wieder freigeben können. Wir werden ein Hotel für Sie finden.«
    »Ich möchte so schnell wie möglich nach Deutschland zurück. Mein … mein Mann soll dort beerdigt werden, und …«

    »So schnell wird das nicht gehen.«
    Sie neigte sich nach vorn. Ihr Mund war so ausgedörrt, daß sie meinte, er sei mit Watte gefüllt.
    »Ich bin schwanger. Im dritten Monat. Ich brauche meinen Arzt. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen. Ich muß nach Deutschland!«
    Seine Augen waren voll Mitgefühl. »Sie sollten da natürlich keinesfalls ein Risiko eingehen«, sagte er, »aber Sie können doch sicher so lange bleiben, wie Sie ohnehin geblieben wären?«
    »Bis Ende dieser Woche. Ja. Am Sonntag wären wir zurückgeflogen«
    »Ich danke Ihnen. Und dann …«, er zögerte. »Es ist reine Routine«, sagte er schließlich, »aber wir müssen Fingerabdrücke von Ihnen nehmen. Von den anderen auch. Es gehört einfach dazu.«
    Sie nickte. Es war ihr egal. Ihre Augen brannten. Wann ließ er sie endlich allein?
    Es wurde an die Tür geklopft, und die blonde Beamtin, die Jessica die Nachricht vom Tod Alexanders überbracht hatte, erschien.
    »Ich glaube, Sie können jetzt mit Mrs. Burkhard sprechen«, sagte sie.
    Norman erhob sich sofort. »Ich komme.«
    Gleichzeitig entbrannte in der Eingangshalle ein Tumult. Laute Stimmen, ein Polizist rief: »Sie können hier nicht einfach herein! Sie müssen sich ausweisen!«
    »Ich werde doch mein eigenes Haus noch betreten dürfen«, sagte Leon. Er schob die blonde Beamtin zur Seite und trat ins Wohnzimmer. Er starrte Jessica an.
    »Was, zum Teufel, ist hier passiert?« fragte er. Er sprach deutsch. »Was wollen diese Horden von Bullen hier?«
    Sie barg ihr Gesicht in beiden Händen und wandte sich ab.
    Überließ es Superintendent Norman, zu sagen, was zu sagen war.

    4
    Die Nachricht von der schrecklichen Bluttat in Stanbury House machte blitzschnell die Runde im Dorf, ohne daß man später genau hätte sagen können, warum und an welcher Stelle die Neuigkeit so rasch durchgesickert war. Natürlich überschlugen sich die Gerüchte: Es gebe keinen Überlebenden, hieß es, von grausamen Folterungen war die Rede, von Gruppensex, den es zuvor unter den Fremden aus Deutschland gegeben haben sollte, und von einem Blutrausch der Eifersucht, der sich anschließend Bahn gebrochen hatte. Man erzählte sich furchtbare Dinge, und die ersten Bürger marschierten oder fuhren bereits hinaus zu dem Landhaus, ohne allerdings auch nur bis an das Tor gelangen zu können; die Polizei hatte das ganze Gelände weiträumig abgesperrt. Die Atmosphäre in Stanbury, die

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