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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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fertig, es auszusprechen. Ich kann darüber schreiben, aber nicht sprechen. Es ist so …, es kommen so viele Bilder, wenn ich daran denke, und wenn ich sprechen würde, würden mich die Bilder ersticken. Diese Bilder von Blut, die ich auch gesehen habe, als ich das Fieber hatte. Inmitten von all dem Blut ist dann J. Sie ist tot. Ihre Kehle ist durchgeschnitten, und im Todeskampf ist das Miststück zwischen ihren Beinen herausgeflutscht, so ein schleimiger Zellhaufen, den man gar nicht als Baby erkennt. Ich sehe das immer wieder vor mir. Alles ist in Ordnung. Eine schöne, glatte Abtreibung, die keiner überlebt.
    Warum, verdammt, hat es nicht J. erwischt? Wieso war sie nicht da?
    Ich schreie!!!
    5
    Nachdem sie zweimal angehalten und Passanten nach dem Weg gefragt hatte, fand Jessica das Haus ihres Schwiegervaters. Ein alter, ehemaliger Bauernhof, einsam gelegen, fast sieben Kilometer von der nächsten Ortschaft entfernt. Eingebettet in die hügelige, liebliche Chiemseelandschaft, in die weiten Wiesen des Alpenvorlandes, die jetzt im Mai im sattesten Grün standen. Überall weideten scheckige Kühe, und hinter ihnen erhob sich das großartige Panorama der schneebedeckten Berge. Hier war Alexander aufgewachsen, jedenfalls in den Zeiten, die er nicht im Internat verbracht hatte. In einer abgeschiedenen Welt, die unberührt schien von all den Schrecknissen und Wirren, die draußen passierten. Was natürlich nicht bedeutete, daß diese Welt nicht in der Lage war, ihre eigenen Dramen zu produzieren. Wieso verbrachte ein Heranwachsender seine ganze Jugend im Internat? Wieso erschien ein Vater weder zur Hochzeit noch zur Beerdigung
seines Sohnes? Warum weigerte sich ein Großvater, sein einziges Enkelkind kennenzulernen?
    Plötzlich wünschte sie, nicht hergekommen zu sein. Was Evelin anging, würde Alexanders Vater ihr kaum helfen können, und wollte sie wirklich mehr über Alexander selbst und seine Geschichte erfahren? Er war tot. Die Toten sollte man ruhen lassen. Ganz gleich, was sein Vater über ihn zu sagen hatte, er konnte sich nicht mehr dazu äußern, konnte nichts erklären oder aus seinem Blickwinkel verständlich zu machen suchen. Vielleicht lud sie sich nur neue Belastungen, neue Fragen und Ungereimtheiten auf.
    Trotzdem hielt sie an und stieg aus dem Auto. Das Anwesen wirkte gepflegt, hell und freundlich. Auf dem langen Holzbalkon blühten Geranien. Zwei Kastanienbäume beschatteten den gepflasterten Hof. Es gab ein paar Stallgebäude, die jedoch leer zu stehen schienen. Das Haus war in einem hellen Ockergelb gestrichen, hatte grüne Fensterläden und weiße Sprossen in den Fenstern. Die Idylle der Landschaft setzte sich in dem Hof fort.
    Vielleicht war alles halb so schlimm. Und zudem hatte sie tief innen das Gefühl, daß ihr so oder so nichts anderes übrigblieb, als den Weg zu Ende zu gehen, den sie begonnen hatte.
    Es gab keine Klingel, also klopfte sie kräftig an die Tür. Eine Weile rührte sich nichts, aber schließlich vernahm sie schleppende Schritte, die sich langsam näherten, und dann wurde ihr geöffnet. Ein alter Mann stand vor ihr, weißhaarig, gebeugt. Die Augen in dem zerfurchten Gesicht sahen hellwach und lebendig drein. Aber er sah nicht im geringsten aus wie Alexander, es gab nicht die Spur einer Ähnlichkeit, jedenfalls nicht auf den ersten Blick, und diesen Umstand empfand Jessica als beruhigend.
    »Ich bin Jessica«, sagte sie und streckte ihm die Hand hin, »guten Tag.«
    Er ergriff ihre Hand, drückte sie aber nur kurz und wie nebenbei, während er sie eindringlich musterte. Er lächelte. Es war ein kaltes Lächeln.
    »Sie sind Jessica. Alexanders zweiter Versuch. Ich muß zugeben,
nach Ihrem Anruf hat mich doch ein bißchen die Neugier gepackt. Welche Frau hat er sich diesmal gesucht, habe ich mich gefragt. Er hatte eine Traumfrau. Elena. Kennen Sie sie?«
    »Nur ein bißchen«, sagte Jessica.
    Er machte einen Schritt zurück. Dabei fiel ihr auf, daß er ein Bein nachzog. »Kommen Sie herein. Ich weiß zwar nicht, was Sie von mir wollen, aber kommen Sie.«
    Er schlurfte vor ihr her den dämmrigen Gang entlang. Das Wohnzimmer, in das sie gelangten, war überraschend hell und gemütlich. Weiche, geblümte Sofas und Sessel, helle Regale, ein Glasschrank, in dem sich Gläser und goldgerändertes Geschirr befanden. Von den Fenstern aus hatte man einen Blick in den hinteren Garten, der voller Obstbäume und Blumen war. Irgendwie paßte die Umgebung nicht zu dem alten Mann - oder

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