Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
die er heiraten und an die er sich anlehnen kann. Mit Ihnen ist es auch ziemlich schnell gegangen, nicht? Wahrscheinlich war er kaum geschieden, da hat er Sie schon zum Standesamt geschleppt. Aus Liebe?« Er lachte, und es klang höhnisch. »Tut mir leid, wenn ich Ihnen ein paar Illusionen zerstöre, junge Frau, aber geliebt, wirklich geliebt hat mein Sohn nur Elena. Das war so fanatisch, das konnte sich nie ändern. Sie hat er nur gebraucht, um sich festzuhalten.«
Ich hätte nicht herkommen sollen, dachte sie und schloß für eine Sekunde die Augen. Der alte Mann ohrfeigte sie mit jedem Wort, das er sagte, und entfernte sich doch nie von dem, was auch durch ihre eigenen Gedanken bereits gegeistert war. Sie dachte an das Telefongespräch, dessen Zeuge sie in Stanbury geworden war, daran, wie durcheinander und angstvoll sie gewesen war. Nicht, weil er mit seiner Ex-Frau telefonierte. Auch
nicht in erster Linie deshalb, weil er es heimlich tat. Aber der Klang seiner Stimme hatte sie erschüttert.
Das ist nicht vorbei, hatte sie gedacht, es wird nie vorbei sein.
Er hatte sie sehr genau beobachtet. »Sie hören das nicht gern«, stellte er fest, »aber Sie wissen, daß ich recht habe. Es tut mir leid für Sie. Sie werden immer mit dem Gefühl leben, mit einem Mann verheiratet gewesen zu sein, der Sie nicht wirklich geliebt hat. Das ist das Tragische an Alexanders gewaltsamem Tod, er hat Ihnen die Möglichkeit genommen, ihn zu verlassen. Eine Scheidung tut weh, aber Sie hätten sie gewollt, und irgendwann wäre es Ihnen völlig gleichgültig gewesen, ob Alexander Sie geliebt hat oder nicht. So wird es das vielleicht nie sein. Aber damit müssen Sie nun eben leben. Irgend etwas schleppen wir ja alle mit uns herum.«
»Warum haben Sie Ihren Sohn so gehaßt?« fragte sie. Ihren Impuls, aufzustehen und zu gehen, hatte sie innerhalb weniger Sekunden in den Griff bekommen. Sie wollte Informationen. Nur darauf kam es jetzt an. Später konnte sie zusehen, wie sie mit ihren Gefühlen zurechtkam.
Will versuchte, sein steifes Bein auszustrecken, und stöhnte dabei leise. »Tut verdammt weh. Bei jeder Bewegung. Damit muß ich leben.«
»Ihr Sohn …«
»Wissen Sie, ich bin mir gar nicht sicher, ob ich ihn gehaßt habe. Haß ist ein sehr großes Wort. So groß wie Liebe. Ich bin in meinem Leben immer vorsichtig mit diesen Begriffen gewesen. Ich habe von niemandem gesagt, daß ich ihn liebe. Und ich habe von niemandem gesagt, daß ich ihn hasse.«
»Wenn ein Vater seinen Sohn nicht liebt, so ist das ungewöhnlich. «
»So ungewöhnlich ist das gar nicht. Die meisten Leute reden nur viel, und es ist nichts dahinter. Viele Ehemänner lieben ihre Frauen nicht, und viele Frauen nicht ihre Männer. Mit Eltern und Kindern ist es genauso. Aber sie hantieren alle mit dem Wort
Liebe herum, weil sie denken, es gehört sich so.« Er machte einen erneuten Versuch, sein Bein auszustrecken, gab stöhnend auf. »Verfluchte Schmerzen! Ich sage Ihnen etwas, junge Frau: Ich habe Alexander nicht gehaßt. Ich war nur maßlos enttäuscht von ihm. So enttäuscht, daß ich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Ich wollte ihn vergessen. Und daran hat die Tatsache, daß er ermordet wurde, nichts geändert. So. Das ist es. Mehr gibt es nicht zu sagen.«
»Doch. Warum waren Sie so enttäuscht von ihm?«
Will verdrehte die Augen. »Sie sind hartnäckig, nicht? Als ob es jetzt auf all das noch ankäme! Er war kein Mann. Er war ein Duckmäuser, ein Arschkriecher, ein Schleimer. Von Anfang an, schon als Kind. Mein Gott, als kleiner Junge hat er schon ständig geheult. Und immer aufgepaßt, daß er alles richtig machte. Niemals über die Stränge geschlagen, nie angeeckt. Hatte Augen wie ein zitterndes Kaninchen. Keinen Mumm in den Knochen. Das hat mich wahnsinnig gemacht.«
»So wird ein Kind nicht von selbst. Es hat doch Gründe, wenn ein kleiner Junge ständig Angst hat.«
»Gründe! Gründe!« Will klang ärgerlich. »Kommen Sie bloß nicht mit neumodischem psychologischen Scheiß! Ich habe ihn hart angefaßt, von Anfang an. Verwöhnen bringt nichts. Das macht sie nur lebensuntauglich.«
»Härte nicht? Nach dem Bild, das Sie von Alexander hatten, kann Ihr Konzept doch nicht aufgegangen sein!«
»Wer als Weichei geboren wird, der bleibt ein Weichei. So oder so. Insofern haben Sie recht, ich hätte mir meine Abhärtungsversuche bei Alexander sparen können.«
Ihre Abneigung gegen ihn wuchs mit jedem Wort, das er sagte, aber sie bemühte sich,
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