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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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stand er der ökologischen Bewegung nahe, und aus Gründen, die Leon nicht nachvollziehen konnte, ließ er sich seitdem die Haare nicht mehr schneiden, trug Pullover, die ihm seine Mutter aus naturbelassener Schafwolle strickte, und nahm Jutetaschen zum Einkaufen mit - was immerhin konsequent mit den Naturkostläden und Reformhäusern harmonierte, die er gern aufsuchte. Mit seinen langen Haaren und in den übergroßen Pullovern (ob seine Mutter immer noch glaubte, er müsse da hineinwachsen? fragte sich Leon) sah er ein bißchen wie ein moderner Jesus aus. Er trug Tag und Nacht seinen Anti-AKW-Anstecker, las ständig Bücher über
Psychologie und wollte nach dem Abitur zuerst für ein Jahr nach Indien gehen und dann Psychotherapie studieren. Er hätte unerträglich sein können in Leons Augen, aber da war noch etwas anderes in ihm, etwas, das sich nur schwer fassen, kaum definieren ließ. Er sah aus wie ein pazifistischer Weltverbesserer und Idealist, und er gab sich auch so, aber im tiefsten Inneren war er es nicht. Da war etwas in seinen Augen, das Leon mit Faszination erfüllte. Manchmal dachte er, daß er, wäre er nur älter, wissen würde, was es war. Dieses Aufglimmen einer geheimen Freude, die keine Wärme vermittelte, sondern eine Gänsehaut im Betrachter hervorrief.
    Alexander hüstelte verstohlen und unterbrach damit das beinahe heilige Schweigen, das sie alle umfing. Leon grinste.
    »Das wird doch nicht deine erste Zigarette sein?« fragte er.
    »Natürlich nicht«, sagte Alexander. »Im übrigen habe ich auch gar nicht wegen der Zigarette gehustet. Ich habe Halsschmerzen, und die werden hier oben in dem Rauch und in der Kälte ganz sicher nicht besser.«
    Tatsächlich war der Rauch inzwischen noch dichter geworden, so daß die Jungen einander nur noch durch einen Schleier sehen konnten.
    »Wegen Halsschmerzen hustet man aber nicht«, meinte Tim. Er rauchte professionell und ungerührt.
    Als wahrer Gesundheitsapostel müßte er das eigentlich ganz sein lassen, dachte Leon.
    »Wieso sollte man nicht husten, wenn einem der Hals weh tut?« fragte Alexander. »Wenn es ganz tief unten ständig kratzt, huste ich jedenfalls immer.«
    Tim setzte zu einer Erwiderung an, aber niemand erfuhr mehr, was er sagen wollte. Jedenfalls erinnerten sich später alle, daß es genau dieser Moment war, in dem Marc zu röcheln begann.
    Marc hatte sich heftig gegen das Rauchen gesträubt unter Hinweis auf sein Asthma, aber niemand hatte genau hingehört, was darin liegen mochte, daß Marc tatsächlich ständig wegen irgendwelcher
gesundheitlicher Probleme herumlamentierte. Es war auch nicht so, daß man ihn gezwungen hätte, mitzumachen. Er hätte beschließen können, im Bett zu bleiben, oder zwar auf den Dachboden mitzukommen, sich aber am Rauchen nicht zu beteiligen. Doch das war Theorie. In der Realität waren sie eine verschworene Gemeinschaft, eine langjährige Clique. Sich auszuschließen hätte bei jedem Mitglied mehr Größe und Reife vorausgesetzt, als einem Jungen im Alter von sechzehn Jahren üblicherweise zur Verfügung standen.
    Marc war für seine gesamte Schulzeit vom Sportunterricht befreit. Es hing mit den Erstickungsanfällen zusammen, denen er als Kind immer wieder ausgesetzt gewesen war und die sich, wie er und seine Mutter unter Berufung auf die Ärzte behaupteten, bei erhöhter körperlicher Anstrengung wiederholen konnten.
    »Ich war früher ein paarmal mit dem Notarztwagen im Krankenhaus«, hatte er erzählt, »weil ich überhaupt keine Luft mehr bekam und schon blau im Gesicht war.«
    Man hatte seine Schilderungen zur Kenntnis, aber nicht wirklich ernst genommen.
    Als er nun plötzlich nach Luft zu schnappen begann, drehten sich alle fast erstaunt zu ihm hin.
    »Hast du auch Halsweh?« fragte Leon.
    Was jedoch bei Alexander ein kurzes, kratziges Husten gewesen war, klang bei Marc außerordentlich bedrohlich. Er ließ seine Zigarette fallen, reckte den Kopf hoch und rang nach Atem. Er japste und schnaufte, und aus seiner Brust drang ein rasselndes, erschreckendes Geräusch.
    Die Jungen bekamen Angst, auch wenn noch keiner es vor den anderen zugeben wollte. Tim, der am nächsten saß, reckte das Bein und trat Marcs glimmende Zigarette aus, damit nicht noch die Holzwände Feuer fingen.
    »Komm, Marc, krieg dich ein«, sagte er barsch. »Soll ich dir mal kräftig auf den Rücken hauen? Vielleicht geht’s dann wieder! «

    Marc antwortete nicht, sondern schnappte verzweifelt nach Luft.
    »Das ist ein

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