Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
Geschichte Geraldines zu begreifen, und als sie endlich verstanden hatte, war sie von einem fast ungläubigen Grauen erfaßt worden.
»Er ist ein Verbrecher! Ein Massenmörder! O Himmel, Geraldine, ist dir klar, in welcher Gefahr du die ganze Zeit geschwebt hast? Daß er nicht ganz normal ist, habe ich ja schon immer gesagt, aber daß er … verdammt, mir wird richtig schlecht, wenn ich mir vorstelle …«
Geraldine hatte sie unterbrochen. »Ich weiß nicht, ob er … es getan hat. Er hat Stein und Bein geschworen, daß er es nicht war. Er…«
»Und wozu hat er dann ein falsches Alibi gebraucht? Ich bitte dich, Geraldine, ein Mensch mit einem guten Gewissen hat doch solch abenteuerliche Konstruktionen nicht nötig! Ich frage mich, wie du dich dafür hergeben konntest. Ist dir nicht klar, daß du dich damit strafbar machst? Ganz abgesehen davon - wie konntest du denn ernsthaft noch immer eine Zukunft planen mit einem Mann, der fünf Menschen einfach abgestochen hat? Wie konntest du noch ernsthaft Kinder mit ihm haben wollen? Wie konntest du …«
Geraldine war unter dem Maschinengewehrfeuer von Lucys Tiraden zu einem Häufchen Elend zusammengesunken und hatte irgendwann nur leise gefragt: »Kommst du mit zur Polizei?«
»Natürlich komme ich mit. Und sei es nur deshalb, um sicherzustellen, daß du deine Aussage nicht in letzter Minute widerrufst! Denn das wäre dir zuzutrauen, wie ich dich kenne. Großer Gott, wenn ich mir vorstelle, daß auch ich noch in der Wohnung dieses Monsters war …«
Wie in Trance hatte Geraldine ihre Aussage zu Protokoll gegeben, alles hatte ziemlich lange gedauert, aber sie hatte Kaffee und Mineralwasser, die man ihr anbot, abgelehnt, weil ihr zu übel war, als daß sie auch nur hätte trinken können.
Immerhin machte ihr niemand einen Vorwurf oder sprach das Thema an, ob sie wegen ihres Verhaltens in naher Zukunft mit juristischen Konsequenzen zu rechnen hätte. Man schickte sie jedoch - natürlich - mit der obligatorischen Auflage, sich jederzeit zur Verfügung zu halten, nach Hause. Lucy war sofort klar, daß dies zunächst eine Reihe von Problemen in Geraldines Beruf mit sich bringen würde. Allerdings war Geraldine wohl in der nächsten Zeit ohnehin nicht einsetzbar, was weniger an ihrem verunglückten Haarschnitt lag als an ihrer depressiven Stimmung und dem Ausdruck schwärzester Hoffnungslosigkeit in ihren Augen. Als sie das Polizeirevier endlich hatten verlassen dürfen, hatte Lucy vorgeschlagen, irgendwo zusammen einen Kaffee zu trinken und dann Geraldines Friseur aufzusuchen.
»Wir müssen etwas mit deinen Haaren unternehmen. So können sie nicht bleiben. Bruno bringt das sicher in Ordnung.« Bruno war der schwule Friseur aus der South Kensington Road, der für die meisten Models aus Lucys Agentur zuständig war. »Wir machen einfach einen neuen Typ aus dir. Vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Langhaarig, mädchenhaft, verträumt warst jetzt über viele Jahre. Ich könnte mir vorstellen, du siehst mit kurzen Haaren viel jünger und frecher aus.«
Aber Geraldine war nicht zu bewegen gewesen, weder zum Kaffeetrinken noch zu einem Friseurbesuch, und Lucy hatte schließlich nachgegeben und sie heimgebracht. Am heutigen Samstag war sie wieder zu ihr geeilt und hatte sie erneut in einem Zustand völliger Apathie angetroffen. Nachdem alle ihre Bemühungen, Geraldine zu einem Spaziergang zu überreden, gescheitert waren, hatte sie schließlich einen Vorrat an Sektflaschen aus dem Keller geholt und kalt gestellt und nun am Abend die erste geöffnet. Tatsächlich schien der Alkohol Geraldine ein wenig zu entspannen. Sie war zumindest wieder ansprechbar.
»Weißt du, Lucy«, sagte sie nun, »ich bin im tiefsten Inneren davon überzeugt, daß Phillip niemanden ermordet hat. Ich kann dir nicht erklären, warum, aber da ist in mir …«
Lucy unterbrach sie mit einem unwilligen Schnauben. »Sei mir nicht böse, Geraldine, aber du wirst zugeben müssen, daß man dich kaum als eine Person ansehen kann, die auch nur im entferntesten geeignet ist, Phillip Bowen einigermaßen objektiv zu beurteilen. Dieser Mann hat dich jahrelang wie einen Fußabstreifer behandelt und deine Gefühle ausgenutzt, und du hast dich treten lassen und bist trotzdem immer wieder angekrochen gekommen. Wie ich dir schon oft erklärt habe, weist das auf eine gefährliche psychische Abhängigkeit hin, für deren Auflösung du vermutlich sogar therapeutischer Hilfe bedürftest. Das heißt, auch jetzt,
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