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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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einem Raum zu verharren, so heftig ist die fast physisch spürbare Abscheu. In der Regel werde ich aber die Person nach fünfzig Minuten los, und auch ein Seminar dauert nie länger als zwei Stunden. Zeit und Gelegenheit, mich zu regenerieren
    Aber Evelin, die jämmerlichste aller Jammergestalten, hatte ich nun immer um mich. Morgens und abends und an den Wochenenden, in den Nächten, in den Ferien. Sie war meine Frau! Sie ist meine Frau. Ich kann sie nicht nach fünfzig Minuten aus dem Raum schicken, die Fenster weit aufreißen, tief durchatmen und den Ekel und den Haß langsam in mir abklingen lassen.
    Ekel und Haß. Ja. Das war es, was ich immer stärker für Evelin empfand in den ersten Jahren unserer Ehe. Es ist das, was ich heute für sie empfinde. Manchmal sind Ekel und Haß stärker als das Wohlgefühl, das mir ihre Abhängigkeit verschafft. In solchen Momenten quält mich das Gefühl, mit dieser Heirat ein schlechtes Geschäft gemacht zu haben. Wobei ich mir dann immer wieder sage, daß ich vielleicht eine anders strukturierte Person gar nicht hätte heiraten können. Ich brauche mir nichts vorzumachen: Letztlich ist es ein sexueller Reiz, den mir diese psychisch schwerstlabilen Frauen vermitteln. Und ganz sicher wäre ich nicht mit einer Frau zum Standesamt gegangen, die diesen Reiz nicht auf mich ausübt. Wenn also nicht Evelin, so wäre ich doch immer an einer Frau ihres Schlages hängengeblieben. Und hätte mich immer mit dem gleichen Dilemma konfrontiert gesehen.
    Vielleicht bin ich das Problem. Nicht Evelin.
    Obwohl sie schon ein spezieller Fall ist. Ein ganz spezieller. Wenn auch Dr. Wilbert ihr großer Vertrauter war und ist, so konnte es nicht ausbleiben, daß auch wir Gespräche miteinander führten, und als Psychologe bin ich versiert genug, die Dinge von den Menschen zu erfahren, die ich erfahren will. Evelin ist mir intellektuell im allgemeinen und rhetorisch im speziellen
überhaupt nicht gewachsen. Letztlich kam sie nicht umhin, mir meine Fragen zu beantworten.
    Teil II
    Evelins Vater war Schriftsteller. Einer, den niemand kennt, der aber entweder so von sich überzeugt war oder so von Leidenschaft erfüllt, daß er trotz des ausbleibenden Erfolgs nicht aufhören konnte, in seiner brotlosen Kunst zu verharren. Er hatte aus dem Familienbesitz ein Haus geerbt und eine nicht unbeträchtliche Summe Geld, so daß es ihm gelang, Frau und Tochter auch ohne eigenes Einkommen leidlich über Wasser zu halten. Das Haus war eine uralte, völlig verwohnte Villa mit knarrenden Fußböden, Fenstern, die nicht mehr richtig schlossen, defekten Wasserleitungen und einem Garten drumherum, der die Bezeichnung Urwald verdient hätte. Aus unerfindlichen Gründen hing Evelin mit Leib und Seele an dieser Bruchbude und trauerte ihr auch später noch nach: Sie wollte immer, daß wir ein Haus in dieser Art kaufen, ein Ansinnen, gegen das ich mich natürlich vehement und erfolgreich zur Wehr setzte.
    Das Schlimme an Evelins Vater war nicht so sehr sein berufliches Scheitern an sich, sondern das, was die ununterbrochene Frustration aus ihm machte. Er begann zu trinken, und er wurde zunehmend gewalttätig. Nicht gegen Evelin, aber gegen seine Frau. Ich habe meine Schwiegermutter nie kennengelernt, aber nach allem, was ich von ihr gehört habe, muß sie ein unterwürfiges Mäuschen gewesen sein. Attraktiv, wenig selbstbewußt, ihrem unfähigen Mann zutiefst ergeben. Eine jener Frauen, die meinen, ihr Leben lang dankbar sein zu müssen, daß sie überhaupt einen Mann gefunden haben, selbst wenn sie von ihm schikaniert werden. Ganz sicher hat sie Evelins Frauenbild geprägt, und ihr Verständnis von einer Beziehung sowieso.
    Evelins Vater muß Tobsuchtsanfälle von wirklich beängstigendem
Ausmaß gehabt haben. Er warf mit allen Gegenständen um sich, die ihm in die Hände fielen, selbst Stühle und sogar Tische waren nicht vor ihm sicher. Er riß Vorhänge zu Boden, zertrümmerte die Glastüren von Schränken, riß Stromkabel samt Steckdosen aus den Wänden. Zeitweise muß es in der Villa ausgesehen haben, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Er war sturzbetrunken, klagte Gott und die Welt an, weil wieder irgendein Verleger eines seiner genialen Werke abgelehnt hatte. Seine maßlose Wut verlangte nach immer neuen Ventilen. Und da bot sich natürlich seine Ehefrau an.
    Irgendwie kann ich ihn verstehen. Die Welt der deutschen Verlage hatte sich gegen ihn verschworen, und da stand sie, naiv und dümmlich, und verstand nichts

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