Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
Freundschaften in den Reihen der einstigen Gegner.
Unsere Sprachlosigkeit aber wollte auch hier nicht enden. Waren es wirklich nur Weltuntergangsstimmung, Gefahren, der tägliche Existenzkampf unter schlimmsten Bedrohungen gewesen, die uns verbunden, die uns mit Leidenschaft füreinander erfüllt hatten? Ewig diskutierten wir darüber, drehten uns aber irgendwann nur noch im Kreis. Tatsache blieb die Leere, die zwischen uns herrschte und die zu füllen wir nicht imstande waren. Wir waren noch jung, wir wollten uns nicht blockieren für Gefühle, die jeder von uns vielleicht für einen anderen Menschen würde entwickeln können. Ohne Streit, sehr freundschaftlich und sehr traurig ließen wir uns im April 1953 scheiden. Ich kehrte nach England zurück, Patricia blieb mit Paul in Hamburg.
Keiner von uns hat übrigens je wieder geheiratet.
Damit endete der private Teil von Kevins Lebenserinnerungen, und so sehr Jessica auch blätterte und suchte, es gab nicht die geringste Erwähnung weiterer Liebschaften und schon gar nicht die eines weiteren, später geborenen Sohnes.
Auch in den Zeitungsberichten fand sich nichts. Wenn es Phillips Mutter in Kevin McGowans Leben gegeben hatte, so war sie sein bestgehütetes Geheimnis gewesen. Darüber hinaus wurde Jessica klar, daß Tim recht behalten hatte: Sämtliche Informationen, die Phillip über seinen angeblichen Vater gehabt hatte, waren nachlesbar und bewiesen somit überhaupt nichts. Jessica hatte von Phillip nichts erfahren, was sie nicht Kevins Memoiren oder den Zeitungsberichten über ihn ebenso hätte entnehmen können.
Sie war deprimiert, weil sie Stunden mit der Suche nach etwas verbracht hatte, wovon sie nicht einmal genau wußte, was es war und weshalb sie es suchte. Einen Beweis, der für Phillips Behauptung sprach? Wollte sie ihm helfen? Tatsache blieb, sie konnte ihm nicht helfen.
Und im Grunde geht mich das alles ja auch gar nichts an, dachte sie.
Vielleicht hatte der Aktionismus dieses Nachmittages auch nur dazu gedient, sie von ihren eigenen Problemen abzulenken, und das war immerhin gelungen. Alexanders Telefongespräch mit Elena war in den Hintergrund getreten. Um so quälender schraubten sich die Erinnerungen an den frühen Morgen allerdings jetzt in ihr Gedächtnis. Es war immer ihre Strategie gewesen, belastenden Gefühlen mit Sachlichkeit zu begegnen, sie zu rationalisieren, um ihnen das Übersteigerte, das Dramatische zu nehmen. So versuchte sie es auch jetzt.
Worunter genau leide ich so? fragte sie sich. Nicht darunter, daß er mit Elena telefoniert hat. Das tut er schließlich öfter.
Es waren zwei Punkte, die ihr zu schaffen machten: zum einen die Tatsache, daß Elena offenbar über Dinge in seinem Leben Bescheid wußte, die er ihr, Jessica, nicht anvertrauen mochte. Wenn sie sich die Unterhaltung ins Gedächtnis rief, so war daraus hervorgegangen, daß Elena die Ursache für die Albträume kannte. Davon abgesehen hatte er sich auch sonst nicht verstellt, was seine Verzweiflung und Unsicherheit Ricardas wegen betraf. Vor Elena wagt er es, schwach zu sein .
Der zweite Punkt war klarer abzugrenzen: Er hatte sie angelogen. Zum erstenmal. Jedenfalls, soweit sie es wußte.
Sie versuchte den ersten Punkt mit Logik und Nüchternheit zu betrachten. Vor Elena war er schwach, Elena hatte er Geheimnisse anvertraut, die ihn offenbar sehr belasteten. Er war mit Elena fünfzehn Jahre verheiratet gewesen. Eine lange Zeit.
Mich kennt er keine zwei Jahre überlegte sie, gerade ein Jahr sind wir verheiratet. Vielleicht braucht er länger. Vielleicht hat er sich auch Elena erst nach vier oder fünf oder noch mehr Jahren geöffnet. Vielleicht wird er sich mir genauso öffnen. Elena hat einen zeitlichen Vorsprung. Möglicherweise ist dies, also Zeit , aber auch schon das einzige, was sie mir voraushat.
Blieb noch die Lüge. Er mochte geglaubt haben, sich Ärger einzuhandeln,
wenn er zugab, so früh am Morgen mit seiner Ex-Frau telefoniert zu haben. Es steckte wahrscheinlich nicht mehr dahinter als die Hoffnung, auf diese Weise keine Erklärungen abgeben zu müssen, Vorwürfen ausweichen zu können, denen er vielleicht ausgesetzt gewesen wäre. Dennoch hätte er es nicht tun dürfen. Lügen hatten keinen Platz in einer guten Beziehung.
Ich muß mit ihm reden, dachte sie, so peinlich und unangenehm es ist, aber wenn ich nicht mit ihm rede, trage ich es ewig mit mir herum. Ich würde immer wieder Ärger und Mißtrauen empfinden.
Sie beschloß, nach dem
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